Insgesamt bietet Der Chip-Krieg eine umfassende und gut recherchierte Analyse eines Themas, das bisher oft übersehen wurde.
Politik

Der Chip-Krieg

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★★★★☆

DER CHIP-KRIEG von Chris Miller* ist ein überaus interessantes und gleichzeitig alarmierendes Werk. Denn es zeigt die tiefgreifenden Auswirkungen und die strategische Bedeutung der Chip-Industrie für die globale Politik und Wirtschaft. Der Autor entwirft dabei ein Bild eines zunehmenden Wettbewerbs zwischen USA und China um die Vorherrschaft in der technologischen Landschaft. Dabei werden Mikrochips zu einer Schlüsselressource, die über die Zukunft von Nationen und die Stabilität der Weltordnung entscheidet. / Anzeige

Das Buch beginnt mit der Schilderung einer eindringlichen Szene:

Die USS Mustin durchquert die Formosastraße, um die internationale Anerkennung dieses Gebiets als freies Gewässer zu verteidigen. Diese Eröffnungsszene setzt den Ton für Chris Millers Analyse des zunehmenden geopolitischen Wettbewerbs im Indopazifik. Laut Autor ist dieser stark von der Kontrolle über Mikrochips geprägt.

„Während sich die USS Mustin dicht bepackt mit computergesteuerten Geschützen durch die Meeresstraße schob, kündigte die chinesische Volksbefreiungsarmee Schießübungen vor der Küste Taiwans an, um das zu trainieren, was eine chinesische Zeitung als ‚Wiedervereinigung mit Gewalt‘ bezeichnete. Doch an diesem Tag sorgte sich die chinesische Führung weniger wegen der US-Marine, sondern wegen einer obskuren Sanktionsliste des US-Wirtschaftsministeriums, die den Export amerikanischer Technologie reglementierte.“
Chris Miller

Von hier aus führt Miller die Leser durch die lange Geschichte der Chip-Industrie.

Beginnend mit ihren bescheidenen Anfängen im Silicon Valley bis hin zu ihrer gegenwärtigen Bedeutung als Herzstück der globalen Technologie. Dabei zeichnet er ein umfassendes Bild der verschiedenen Nationen und ihres Einflusses auf die Verbreitung und Weiterentwicklung dieser Technologie. Für alle technisch-historisch Interessierten sicherlich von unschätzbarem Wert, ansonsten allerdings mitunter etwas langatmig und detailverliebt.

Zentrales Thema dieses Buches ist die Abhängigkeit unserer modernen Welt von Mikrochips und die Konzentration der Chip-Produktion. Diese findet nur in wenigen Ländern statt, insbesondere in Taiwan. Der Autor verdeutlicht an unzähligen Stellen, welch weitreichende Auswirkungen eine Störung in der Chip-Lieferkette haben kann. Sei es durch Naturkatastrophen, politische Spannungen oder Pandemien – die verschiedenen Industrien und die globale Wirtschaft werden in Mitleidenschaft gezogen. Diese Zusammenhänge wurden den meisten von uns in den letzten Jahren sicherlich nochmals präsenter als zuvor.

Dabei wird deutlich, dass die USA und China zunehmend um die Kontrolle über diese entscheidende Ressource kämpfen.

Das führt zu Spannungen und Konflikten, die das Potenzial haben, die internationale Ordnung zu destabilisieren. Insbesondere, da Taiwan ohnehin ein Schmelztiegel verschiedener politischer Interessen ist.

Besonders bemerkenswert ist die Tiefe der Darstellungen, mit der Chris Miller die technologische Entwicklung nachzeichnet.

Dabei bezieht er sich stets auf die verschiedenen politischen Kräfte, die diese Entwicklung vorangetrieben haben und auch heute noch vorantreiben. Er zeigt, wie das Mooresche Gesetz die Chip-Industrie beschleunigt. Und wie Unternehmen, Regierungen und Forschungseinrichtungen auf der ganzen Welt darum ringen, technologische Innovationen zu forcieren. Sie alle wollen ihre Position in der globalen Chip-Lieferkette stärken.

„China gibt inzwischen jedes Jahr mehr für den Import von Chips aus als für Öl. Diese Chips stecken in allen möglichen Geräten – vom Smartphone bis zum Kühlschrank –, die die Chinesen selbst nutzen oder in alle Welt exportieren. Strategen schwadronieren gern über das ‚Malakka-Dilemma‘ Chinas – eine Anspielung auf die wichtigste Schiffspassage zwischen Pazifik und Indischem Ozean – und dem in Krisenzeiten bedrohten Zugang des Landes zu Öl und anderen Rohstoffen. Peking fürchtet sich jedoch mehr vor einer Blockade, deren Ausmaß nicht in Barrel, sondern in Bytes gemessen wird. Um die Halbleiterindustrie aus dem Würgegriff Amerikas zu befreien, investiert das Land Milliarden von Dollar in die Entwicklung der eigenen Chiptechnologie und sorgt dafür, dass die klügsten Köpfe des Landes in diesem Bereich arbeiten. Ist diese Strategie erfolgreich, wird Peking die Weltwirtschaft umgestalten und das militärische Gleichgewicht neu justieren können.

Der Zweite Weltkrieg wurde durch den Zugang zu Stahl und Aluminium entschieden.

Bald darauf folgte der Kalte Krieg, in dem die Vormachtstellung über Atomwaffen definiert wurde. Jetzt könnte die Rivalität zwischen den USA und China über die Rechenleistung entschieden werden. Strategen in Peking und Washington erkennen derzeit, dass die gesamte moderne Technologie – vom maschinellen Lernen bis zu Lenkwaffensystemen, von fahrerlosen Fahrzeugen bis zu militärischen Drohnen – auf Chips der jeweils neuesten Generation angewiesen ist. Deren Produktion wird von einer sehr überschaubaren Zahl von Firmen kontrolliert. Wir machen uns selten Gedanken über Computerchips (bzw. Halbleiter oder integrierte Schaltkreise, wie sie auch genannt werden), obwohl wir ihnen unsere moderne Welt verdanken. Das Schicksal ganzer Nationen hängt von ihrer Fähigkeit ab, das Potenzial der Mikroelektronik auszuschöpfen. Ohne den weltweiten Handel mit Halbleitern und den damit hergestellten elektronischen Produkten würde es die Globalisierung, wie wir sie kennen, nicht geben.“
Chris Miller

An dieser Stelle ein paar Worte zum Autor:

Chris Miller ist Professor für Internationale Geschichte an der Tufts University, Massachusetts, und angesehener Fellow des Foreign Policy Research Institute. Er absolvierte sein Studium an der renommierten Harvard University und erwarb einen Doktorgrad von der Yale University. Seine Artikel erscheinen regelmäßig in angesehenen Publikationen wie der New York Times, dem Wall Street Journal und Foreign Affairs. Miller ist bekannt für seine Forschung zu Schlüsselereignissen mit weitreichenden Auswirkungen in den Bereichen Technologie, Internationale Politik und Wirtschaft. Seine Arbeit beleuchtet die komplexen Zusammenhänge zwischen diesen Bereichen. Und sie bietet wichtige Einblicke in die Geschichte und Entwicklung der modernen Welt.

Aus dem Englischen wurde dieses Buch übersetzt von Hans-Peter Remmler und Doro Siebecke.

„Als Covid-19 2020 über die Welt hereinbrach, legte das Virus auch die Chipproduktion lahm. Einige Fabriken wurden vorübergehend stillgelegt, Chips für Autos wurden zur Mangelware. Die Nachfrage nach Chips für PCs und Rechenzentren schnellte in die Höhe, da Unternehmen auf der ganzen Welt begannen, ihre Mitarbeiter ins Homeoffice zu schicken. Der Produktionsrückgang wurde 2021 zusätzlich durch eine Reihe gravierender Ereignisse verschärft: ein Brand in einer japanischen Chipfabrik, eisige Winterstürme in Texas und damit in einer der amerikanischen Schlüsselregionen für die Chipherstellung sowie erneute Corona-Lockdowns in Malaysia, einem Land, in dem viele Chips montiert und getestet werden. Unversehens hatten viele Industriezweige fernab vom Silicon Valley mit einem bedrohlichen Mangel an Chips zu kämpfen. Große Autohersteller von Toyota bis General Motors mussten ihre Fabriken wochenlang schließen, weil die benötigten Halbleiter nicht beschafft werden konnten. Engpässe selbst bei den simpelsten Chips führten dazu, dass Fabriken auf der anderen Seite der Welt schließen mussten. Die Krise schien ein Sinnbild für eine fehlgeleitete Globalisierung zu sein.“
Chris Miller

Dass der Autor Geschichtsprofessor ist, spürt man dem Werk auch inhaltlich ab.

Denn an etlichen Stellen wird seine Affinität zu ausführlichen Schilderungen hinsichtlich geschichtlicher Daten und Geschehnisse deutlich. Das ist sicherlich nicht verkehrt mit Blick auf die Relevanz und Sensibilität des Themas. Doch es kann mitunter etwas ermüdend werden, wenn einem die groben Zusammenhänge mehr als ausreichen.

Dabei würde ich nicht behaupten, dass ich eine oberflächliche Leserin bin oder nur rudimentäres Interesse an der Thematik habe. Dem ist ganz und gar nicht so. Vielmehr sind die fast 500 Seiten am Ende an mancher Stelle vielleicht etwas zu viel des Guten.

Was mich aber von Anfang an begeistert hat, war die sehr hochwertige Bindung und mit einem ebenso hochwertigen Einband.

Insgesamt ist das Buch sehr stilvoll gestaltet, kommt mit 30 EUR aber auch nicht günstig daher. Im Inneren werden neben viel Fließtext auch einige thematisch passende Bilder gereicht, aber farblich gibt es keine weiteren Akzente.

Schlussendlich vermittelt dieses Buch vor allem eines: sehr viel geschichtliches Hintergrundwissen. Beginnend bei der Entstehung der ersten Transistoren über deren Verbreitung in den unterschiedlichen Ländern bis hin zu militärischen Problemstellungen. Diese dienten immer wieder als Beschleuniger für die Chip-Entwicklung. Man muss durchaus tiefgreifendes Interesse an dieser Thematik haben, um das Buch nicht frühzeitig zur Seite zu legen. Ich persönlich hätte mir ein etwas anderes Verhältnis zwischen kritischer Einordnung und deskriptiven geschichtlichen Inhalten gewünscht.

Trotzdem ist und bleibt es ein wirklich umfangreiches und vor allem tiefgreifendes Buch.

Der Autor beschreibt so ziemlich alle Seiten dieses „Konflikts“ ausgiebig. Und mit dem passenden Clickbait-Titel wurde die Thematik auch gekonnt auf ein mögliches, aber definitiv nicht wünschenswertes Szenario zuspitzt.

Insgesamt bietet Der Chip-Krieg* eine umfassende und gut recherchierte Analyse eines Themas, das bisher oft übersehen wurde.

Aber mittlerweile rückt es immer mehr in die Öffentlichkeit. Sowohl Staats- und Regierungschefs als auch die Medien scheinen begriffen zu haben: Dieses Thema ist womöglich von entscheidender Bedeutung für die Zukunft der Menschheit. Chris Miller liefert dazu nicht nur Einblicke in die komplexen Zusammenhänge und Herausforderungen der Chip-Industrie. Sondern er regt auch zum Nachdenken darüber an, wie diese Entwicklungen unsere Welt formen. Und darüber, welche politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen in Zukunft getroffen werden müssen. Denn es geht darum, dass die Chip-Industrie eine positive Kraft für die Menschheit bleibt.

„Kein anderes Land nutzt die digitale Welt so wirkungsvoll für autoritäre Zwecke wie China. Die Regierung in Peking hat Amerikas Technologieriesen straffe Zügel angelegt. Google und Facebook wurden verboten und durch einheimische Unternehmen wie Baidu und Tencent ersetzt, die technologisch ihren amerikanischen Konkurrenten absolut ebenbürtig sind. Amerikanischen Tech-Konzernen wie Apple und Microsoft, die sich Zugang zum chinesischen Markt verschafft haben, wurde dieser Zugang nur gewährt, nachdem sie sich zur Kooperation mit Pekings Zensursystem bereit erklärt hatten. Mehr als jedes andere Land hat China das Internet den Wünschen seiner Staatsführung unterworfen. Ausländische Internet- und Softwareunternehmen hatten nur die Wahl, sich entweder den von der Kommunistischen Partei diktierten Zensurvorschriften zu beugen oder den Zugang zu einem riesigen Markt zu verlieren.“
Chris Miller

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