DER GOLDENE KÄFIG DES DIGITALKAPITALISMUS von Felix Sühlmann-Faul*. In diesem Buch erfahren die Leser, wie die digitale Revolution unser Leben verändert hat und welche Auswirkungen der Digitalkapitalismus auf Wirtschaft, Gesellschaft und Demokratie hat. Unternehmen wie Apple, Google und Meta haben Geschäftsmodelle entwickelt, die auf der kostenlosen Bereitstellung von Diensten basieren – bezahlt wird jedoch mit persönlichen Daten. Diese Daten sind das Kapital der Zukunft und Grundlage für Werbemechanismen sowie Produktentwicklungen. Felix Sühlmann-Faul zeigt auf, dass diese Mechanismen den digitalen Raum dominieren und dabei unsere Privatsphäre und Grundrechte gefährden. / Anzeige
Ein Hauptthema des Buches ist der “digitalkapitalistische Gesellschaftsvertrag”.
Während digitale Dienste scheinbar kostenlos sind, zahlen die Nutzer mit personenbezogenen und Verhaltensdaten, die im Hintergrund gesammelt und verarbeitet werden. Unternehmen nutzen diese Daten, um zielgerichtete Werbung zu schalten und neue Verhaltensmuster zu erzeugen. Die zunehmende Nutzung dieser Daten macht die Nutzer für den Autor zu unbezahlten Arbeitskräften der Tech-Konzerne, die das zentrale Produktionsmittel des Digitalkapitalismus liefern: Daten. Felix Sühlmann-Faul vergleicht dieses System mit dem goldenen Käfig, in dem die Bequemlichkeit, die durch digitale Tools ermöglicht wird, die Nutzer in eine neue Form der Abhängigkeit führt.
Besonders brisant ist der Aspekt der “digitalen Selbstverteidigung”. Felix Sühlmann-Faul entwickelt das Konzept des “Priva Score”, das dem Nutri-Score ähnelt, welcher auf Lebensmitteln den Gesundheitswert aufzeigt. Der “Priva Score” soll den Nutzern dabei helfen, schnell zu erkennen, welche Apps und Dienste datenschutzfreundlicher sind. Dieses Instrument soll die Auswahl erleichtern und ermöglicht es den Nutzern, bewusste Entscheidungen über den Schutz ihrer persönlichen Daten zu treffen, ohne lange Datenschutzrichtlinien studieren zu müssen. In der Folge erhofft man sich durch dieses sensibilisierte Verhalten der Nutzer auch Druck auf die Tech-Konzerne zu kreieren.
Das Buch stellt zudem die Frage, ob der Digitalkapitalismus als eigenständige Epoche des Kapitalismus verstanden werden kann.
Felix Sühlmann-Faul identifiziert drei zentrale Entwicklungen, die den Digitalkapitalismus geprägt haben: die Aufklärung, die Ideologie von Technologie und Kapitalismus sowie der soziotechnologische Wandel. Diese Einflüsse haben zu einer tiefgreifenden Verbindung von Technologie und Gesellschaft geführt, die heute das wirtschaftliche und soziale Leben dominiert. Der Autor zeigt, dass der Digitalkapitalismus nicht nur die Privatsphäre der Nutzer, sondern auch demokratische Strukturen unterwandert.
Kapitel für Kapitel analysiert Felix Sühlmann-Faul die negativen Auswirkungen des Digitalkapitalismus. Er erklärt, wie datenbasierte Geschäftsmodelle Arbeitsmärkte und öffentliche Güter beeinflussen und wie politische Prozesse zunehmend von den Interessen großer Technologiekonzerne gesteuert werden. Diese Machtdominanz führt zu einer Verzerrung demokratischer Prozesse und einer zunehmenden Abhängigkeit von Konzernen wie Google und Facebook. Auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) spielt hierbei eine wesentliche Rolle, da sie auf Basis gesammelter Daten Entscheidungen trifft, die weder transparent noch nachvollziehbar sind.
Das Buch geht jedoch über eine bloße Problembeschreibung hinaus.
Felix Sühlmann-Faul liefert konkrete Lösungsansätze zur digitalen Selbstverteidigung. Er zeigt auf, wie Nutzer durch den Einsatz von Tools wie dem “Priva Score” wieder mehr Kontrolle über ihre Daten erlangen können. Gleichzeitig appelliert er an die Politik, stärker regulierend einzugreifen, um die Machtasymmetrie zwischen Nutzern und Konzernen zu verringern.
“Der unausgesprochene Gesellschaftsvertrag des digitalkapitalistischen Zeitalters verlangt jedoch eine andere Währung. Dieser Vertrag lautet kostenlose Apps und Dienste gegen persönliche Daten. Und wir werden vielfach täglich zur Kasse gebeten. Genauer gesagt handelt es sich nicht um persönliche, sondern meist um personenbezogene Verhaltens- und Metadaten, die wir unwillentlich und nicht spürbar bei jeder Nutzung des Internets oder von digitalen Endgeräten erzeugen.”
Felix Sühlmann-Faul
An dieser Stelle ein paar Worte zum Autor:
Felix Sühlmann-Faul ist promovierter Techniksoziologe und Experte für Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Als Speaker, Berater und Autor beschäftigt er sich intensiv mit den Auswirkungen der digitalen Transformation. Er war Versuchsleiter in der Daimler-Kundenforschung und Projektleiter am Institut für Transportation Design. Zudem berät er renommierte Institutionen wie den Deutschen Nachhaltigkeitspreis und hat am Aufbau eines deutschlandweiten Forschungsnetzwerks zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit mitgewirkt.
“Nutzer*innen zahlen zwar zunächst mit Daten – letztlich aber mit ihrer Freiheit. Der digitalkapitalistische Gesellschaftsvertrag funktioniert nur durch mehr oder weniger freiwillige Aufgabe unseres Grundrechts auf Datenschutz. Und Datenschutz schützt keineswegs Daten, sondern Menschen. Datenschutz schützt die Privatsphäre, die jedem Menschen ermöglicht, ein freies, selbstbestimmtes Leben nach eigener Vorstellung zu führen.”
Felix Sühlmann-Faul
Auf den ersten Blick wirkt das Buch recht schlicht.
Das Cover und Backcover sind unauffällig, aber sauber gestaltet. Die Taschenbuch-Bindung ist solide, aber nichts Besonderes. Auffällig ist jedoch der Preis von 28,00 Euro für knapp 300 Seiten in dieser Bindung und Qualität, was ich als etwas hoch empfinde.
Auch das Innere kommt ohne visuelle Highlights aus. Einige farbliche Hervorhebungen sind vorhanden, bieten aber nur begrenzten strukturellen Mehrwert.
Der Preis relativiert sich allerdings schnell durch die inhaltliche Qualität. Über 300 Quellenangaben pro Kapitel zeugen von gründlicher Recherche und einem hohen wissenschaftlichen Anspruch. Das rückt den Preis ins rechte Licht, dennoch hätte ich 20,00 Euro als angemessener empfunden.
Das Werk hat einen hohen Anspruch, was sich auch im Inhaltsverzeichnis zeigt.
Es ist sehr gut strukturiert, und man hat schnell das Gefühl, dass der Autor den Leser bei diesem komplexen Thema an die Hand nimmt.
Inhaltlich ist das Buch sehr zeitgemäß und relevant. Es behandelt ein Thema, das mehr Menschen betrifft, als ihnen bewusst ist. Wir sind oft naiv im Internet unterwegs, glauben anonym oder spurenlos zu sein. Viele laden bedenkenlos kostenlose E-Books herunter oder tragen sich in unzählige Newsletter ein, ohne an die Konsequenzen zu denken.
Schon vor Jahren habe ich darauf hingewiesen, dass “kostenlose” Bücher selten wirklich kostenlos sind. Wir zahlen mit unseren Daten und unserem digitalen Fingerabdruck, oft ohne zu wissen, was damit geschieht.
Das Buch ist sprachlich anspruchsvoll und sicher keine leichte Lektüre.
Wer sich auch aus sozioökonomischer Perspektive für das Thema interessiert, wird jedoch voll auf seine Kosten kommen. Es ist kein einfaches Thema, aber es wird verständlich und umfassend behandelt.
Das Buch wird an manchen Stellen auch politisch oder gesellschaftskritisch. Auch wenn ich nicht in allen Punkten mit dem Autor übereinstimme, sind die Argumente stringent dargelegt.
“Denn die genannten überaus mächtigen Konzerne beugen auch Gesetzgebungsverfahren zu ihren Gunsten, kommodifizieren öffentliche Güter und unterminieren den politischen Apparat. Das gefährdet nicht nur Grundrechte und Selbstbestimmung, sondern auch die Demokratie. Dabei befindet sich die Politik in einer Zwickmühle. Ihre Aufgabe ist es, die Öffentlichkeit vor dem Missbrauch der Daten zu schützen, gleichzeitig ist sie von den Infrastrukturen und Produkten der Technologiekonzerne abhängig.”
Felix Sühlmann-Faul
Insgesamt verdient das Buch vier Sterne und somit ein “sehr gut”.
Ein bisschen mehr wäre drin gewesen, vor allem, was die Optik und Haptik angeht. Eine Softcover- oder Hardcover-Bindung wäre wahrscheinlich die bessere Wahl gewesen, da man viel im Buch blättert. In der einfachen Taschenbuch-Bindung knicken die Seiten schnell, was es schnell unansehnlich macht.
Der goldene Käfig des Digitalkapitalismus* ist ein tiefgründiges Werk, das nicht nur technologische, sondern auch gesellschaftliche und politische Fragen aufwirft. Felix Sühlmann-Faul bietet den Lesern eine umfassende Analyse der Auswirkungen des Digitalkapitalismus und stellt gleichzeitig wertvolle Werkzeuge zur Verfügung, um sich im digitalen Raum zu schützen.
Zum Schluss noch ein Hinweis: Im Buch wird durchgängig mit Sternchen gegendert.
Mir persönlich macht das nichts aus, aber für manche Leser ist es wichtig, das vorab zu wissen.
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