Vom Mut, sich nicht zu verbiegen
Als ich Du musst nicht von allen gemocht werden von Ichiro Kishimi & Fumitake Koga* zum ersten Mal las, war ich mitten in einer Phase, in der ich es jedem recht machen wollte. Ich wollte verstanden, gemocht, akzeptiert werden – von allen. Das Buch von Ichiro Kishimi und Fumitake Koga traf mich in einem Moment, in dem ich nicht nur nach Orientierung, sondern nach Erlaubnis suchte: der Erlaubnis, einfach ich selbst zu sein. Und genau das ist es, was dieses Buch in seiner philosophischen Klarheit schenkt – die Erlaubnis, sich von der Fremdbestimmung zu befreien und Verantwortung für das eigene Glück zu übernehmen. / anzeige
Über die Autoren
Ichiro Kishimi, geboren 1956 in Kyoto, ist Philosoph und Spezialist für die Werke Platons und Alfred Adlers. Er arbeitet mit Jugendlichen, die psychische Krisen durchleben, und überträgt die Grundgedanken der Adler’schen Psychologie in eine moderne Sprache.
Fumitake Koga, Jahrgang 1973, ist Sachbuchautor und Publizist. Er begegnete der Psychologie Adlers erst spät, war jedoch so tief davon berührt, dass er sie gemeinsam mit Kishimi in ein erzählerisches Format übersetzte – als Dialog zwischen Zweifel und Erkenntnis. Gemeinsam schaffen sie ein Buch, das Denken, Fühlen und Handeln auf radikale, aber befreiende Weise neu ordnet.
Worum es geht
Das Buch ist als fünfteiliger Dialog zwischen einem jungen Mann und einem Philosophen aufgebaut. Der junge Mann ist unzufrieden, zynisch, gefangen in Selbstzweifeln und der ständigen Angst, nicht genug zu sein. Der Philosoph hingegen verkörpert eine fast provozierende Gelassenheit. Seine These: Glück ist keine Belohnung, sondern eine Entscheidung. Und: Der Mensch ist frei – immer.
Was folgt, ist kein Lehrgespräch, sondern ein Ringen. Der junge Mann fordert, zweifelt, widerspricht. Der Philosoph bleibt geduldig, lässt die Fragen stehen, führt sie weiter. In dieser Spannung entfaltet sich das Denken Alfred Adlers – klar, praktisch, unbequem und tief menschlich.
Drei zentrale Thesen, die herausfordern
1. Es gibt kein Trauma – die radikalste Befreiung
Dieser Satz provoziert, aber seine Intention ist eine zutiefst humanistische: Nicht die Vergangenheit, sondern die Bedeutung, die wir ihr geben, bestimmt unser Leben. Was geschehen ist, bleibt real, doch es definiert uns nur, wenn wir ihm weiterhin diese Macht geben.
„Es geht nicht darum, was passiert ist, sondern darum, wie man damit umgeht.“
Diese Haltung bedeutet nicht, Schmerz zu leugnen, sondern ihn neu zu deuten. Sie verschiebt den Fokus von der Ohnmacht zur Verantwortung. Für mich war das einer der stärksten Gedanken des Buches: Die Erkenntnis, dass wir selbst entscheiden können, ob ein Erlebnis uns lähmt oder wachsen lässt.
2. Weder Lob noch Tadel – die Revolution der Beziehungen
In einer Welt, die auf Likes, Sternchen und Bewertungen basiert, ist diese Idee fast ketzerisch. Ichiro Kishimi und Fumitake Koga zeigen, dass Lob und Strafe zwei Seiten derselben Medaille sind: beides Mittel, um Kontrolle auszuüben. Wer lobt, steht über dem anderen; wer tadelt, ebenso.
„Das Ziel zwischenmenschlicher Beziehungen ist ein Gemeinschaftsgefühl – nicht Anerkennung.“
Stattdessen plädieren die Autoren für Ermutigung – die Kunst, Menschen nicht zu bewerten, sondern zu bestärken. Das klingt einfach, ist aber ein Paradigmenwechsel: In der Familie, im Team, in Freundschaften. Ich habe gelernt, dass wahre Motivation nicht aus Zustimmung kommt, sondern aus Zugehörigkeit.
Dennoch sind Likes, Sternchen und Co. natürlich weiterhin wichtig, um auch den Algorithmen zu zeigen, dass man bestimmte Inhalte gut findet und unterstützen möchte. Denn von dieser Ermutigung wie sie Ichiro Kishimi und Fumitake Koga beschreiben, verstehen die Social-Media-Plattformen nichts.
3. Der Mut, normal zu sein – das Ende des Vergleichs
Vielleicht die schönste und zugleich unbequemste Erkenntnis: Es braucht Mut, nicht besonders sein zu wollen. Mut, das eigene Maß zu finden, sich vom ständigen Wettbewerb zu lösen.
„Die Menschen werden nicht von zurückliegenden Ursachen angetrieben, sondern bewegen sich auf Ziele hin, die sie sich selbst setzen.“
Das Buch lehrt: Exzellenz entsteht nicht durch Vergleich, sondern durch Tiefe. Nicht der Rang zählt, sondern der Beitrag. Für jemanden wie mich, die in der Öffentlichkeit steht, war das eine wohltuende Entgiftung – weg vom Blick nach außen, hin zur inneren Klarheit.
Und dennoch auch ein innerer Kampf, den ich noch ausfechten muss. Denn, obgleich ich den Vergleich für mich persönlich vielleicht abzulegen vermag. So muss ich mich ihm dennoch mit Blick auf die Algorithmen stellen. Es war eben abermals die Erkenntnis, dass die sozialen Medien stärker in das eigene Leben eingreifen als einem lieb ist – sofern man wie ich davon abhängig ist.
Stil, Struktur und Wirkung
Ichiro Kishimi und Fumitake schaffen es, psychologische Theorie in erzählerische Spannung zu übersetzen. Der Dialog ist fordernd, manchmal unbequem, aber immer ehrlich. Der junge Mann verkörpert die Zweifel der Leser, der Philosoph die konsequente Einladung, sich von Ausreden zu lösen. Dieses Stilmittel funktioniert erstaunlich gut: Man liest und merkt, dass man selbst die Position des jungen Mannes einnimmt – um am Ende selbst ein Stück des Philosophen in sich zu finden.
Die Sprache ist klar, schnörkellos, fast zenhaft. Jede These wird nicht behauptet, sondern durchlebt. Und gerade dadurch entsteht Tiefe. Das Buch zwingt zum Denken, aber es verurteilt nicht. Es öffnet, statt zu belehren.
Was bleibt – fünf Erkenntnisse, die verändern
1. Die Vergangenheit hat nur so viel Macht, wie du ihr gibst.
Heilung beginnt in dem Moment, in dem du aufhörst, nach Gründen zu suchen, und beginnst, nach Richtung zu fragen. Vergangene Erfahrungen können erklären, warum du bist, wie du bist – aber sie dürfen nicht bestimmen, wer du wirst. Der entscheidende Perspektivwechsel liegt darin, Verantwortung zurückzuholen: nicht länger Opfer der Umstände, sondern Gestalter der Bedeutung. Du kannst das, was geschehen ist, nicht ungeschehen machen, aber du kannst entscheiden, welche Geschichte du darüber erzählst – und darin liegt deine Freiheit.
2. Trenne die Aufgaben – und du wirst frei.
Adlers Konzept der „Aufgabentrennung“ ist vielleicht das kraftvollste Werkzeug für emotionale Autonomie. Es besagt, dass du nicht für die Gedanken, Urteile oder Erwartungen anderer verantwortlich bist – sondern nur für dein eigenes Handeln. Wenn du aufhörst, das Unkontrollierbare kontrollieren zu wollen, verschwindet ein Großteil deines inneren Drucks. Diese klare Unterscheidung – was ist meine Aufgabe, was ist die Aufgabe der anderen – schafft Raum für Gelassenheit, Respekt und echte Verantwortung.
3. Ermutigung ersetzt Bewertung.
Lob und Tadel sind zwei Formen derselben Kontrolle – sie binden dich an das Urteil anderer. Ermutigung dagegen hebt dich auf Augenhöhe: Sie sieht den Einsatz, nicht nur das Ergebnis. Wenn du sagst: „Ich sehe, wie sehr du dich bemühst“, statt „Du bist toll“, stärkst du Selbstwirksamkeit statt Abhängigkeit. In dieser Haltung liegt die Kraft, Beziehungen zu verwandeln – weil sie Vertrauen statt Vergleich schafft und Entwicklung statt Anpassung fördert.
4. Normalität ist keine Schwäche, sondern Reife.
In einer Welt, die uns lehrt, außergewöhnlich zu sein, ist es fast ein Akt der Revolte, normal zu bleiben. Dieses Buch erinnert daran, dass wahre Größe darin liegt, sich selbst zu genügen, ohne sich über andere zu erheben. Wer nicht um Besonderheit kämpft, hat endlich die Freiheit, echt zu handeln – und sich nicht ständig im Spiegel fremder Erwartungen zu betrachten. Normalität, verstanden als innere Ruhe und Authentizität, ist kein Rückzug – sie ist der Ausgangspunkt echter Wirkung.
5. Glück ist kein Ziel, sondern eine Haltung.
Glück wartet nicht am Ende eines perfekt geplanten Lebenswegs – es entsteht, wenn du beschließt, die Gegenwart bewusst anzunehmen. Es ist kein Zustand, der erreicht, sondern eine Haltung, die gewählt wird. Du wirst nicht glücklich, wenn alles anders wird, sondern wenn du anders mit dem umgehst, was ist. In diesem Sinne ist Glück weniger das Ziel einer Reise, sondern die Art, wie du jeden einzelnen Schritt gehst – wach, mutig und ohne dich zu verbiegen.
Kritische Punkte
Die Zuspitzungen sind nicht für jeden leicht verdaulich. „Es gibt kein Trauma“ kann bei sensiblen Themen irritieren, und „weder Lob noch Tadel“ widerspricht gängigen pädagogischen Mustern. Doch wer bereit ist, hinter die Provokation zu blicken, entdeckt darin einen konsequenten Humanismus: Die Würde des Menschen liegt in seiner Freiheit, Bedeutung selbst zu wählen.
Fazit
Du musst nicht von allen gemocht werden* ist kein Buch, das man einfach liest – es ist eines, das man durcharbeitet. Es hält einem den Spiegel hin, ohne zu moralisieren. Es provoziert, aber mit Liebe zur Klarheit. Für alle, die sich zu oft von den Erwartungen anderer bestimmen lassen, ist es ein Befreiungsschlag.
Es hat mein Denken nachhaltig verändert: Nicht was war, sondern was ich jetzt daraus mache, lenkt mein Leben. Ich kann mich nicht erinnern, wann ein Buch mich so konsequent gezwungen hat, Verantwortung nicht nur zu verstehen, sondern zu übernehmen.
Ein Buch, das aufrüttelt, stärkt und bleibt – weil es die Wahrheit sagt, die man am längsten verdrängt: Du musst nicht von allen gemocht werden, um frei zu sein.
5 ausführliche Key Learnings
1. Die Vergangenheit hat nur so viel Macht, wie du ihr gibst.
Heilung beginnt in dem Moment, in dem du aufhörst, nach Gründen zu suchen, und beginnst, nach Richtung zu fragen. Vergangene Erfahrungen können erklären, warum du bist, wie du bist – aber sie dürfen nicht bestimmen, wer du wirst. Der entscheidende Perspektivwechsel liegt darin, Verantwortung zurückzuholen: nicht länger Opfer der Umstände, sondern Gestalter der Bedeutung. Du kannst das, was geschehen ist, nicht ungeschehen machen, aber du kannst entscheiden, welche Geschichte du darüber erzählst – und darin liegt deine Freiheit.
2. Trenne die Aufgaben – und du wirst frei.
Adlers Konzept der „Aufgabentrennung“ ist vielleicht das kraftvollste Werkzeug für emotionale Autonomie. Es besagt, dass du nicht für die Gedanken, Urteile oder Erwartungen anderer verantwortlich bist – sondern nur für dein eigenes Handeln. Wenn du aufhörst, das Unkontrollierbare kontrollieren zu wollen, verschwindet ein Großteil deines inneren Drucks. Diese klare Unterscheidung – was ist meine Aufgabe, was ist die Aufgabe der anderen – schafft Raum für Gelassenheit, Respekt und echte Verantwortung.
3. Ermutigung ersetzt Bewertung.
Lob und Tadel sind zwei Formen derselben Kontrolle – sie binden dich an das Urteil anderer. Ermutigung dagegen hebt dich auf Augenhöhe: Sie sieht den Einsatz, nicht nur das Ergebnis. Wenn du sagst: „Ich sehe, wie sehr du dich bemühst“, statt „Du bist toll“, stärkst du Selbstwirksamkeit statt Abhängigkeit. In dieser Haltung liegt die Kraft, Beziehungen zu verwandeln – weil sie Vertrauen statt Vergleich schafft und Entwicklung statt Anpassung fördert.
4. Normalität ist keine Schwäche, sondern Reife.
In einer Welt, die uns lehrt, außergewöhnlich zu sein, ist es fast ein Akt der Revolte, normal zu bleiben. Dieses Buch erinnert daran, dass wahre Größe darin liegt, sich selbst zu genügen, ohne sich über andere zu erheben. Wer nicht um Besonderheit kämpft, hat endlich die Freiheit, echt zu handeln – und sich nicht ständig im Spiegel fremder Erwartungen zu betrachten. Normalität, verstanden als innere Ruhe und Authentizität, ist kein Rückzug – sie ist der Ausgangspunkt echter Wirkung.
5. Glück ist kein Ziel, sondern eine Haltung.
Glück wartet nicht am Ende eines perfekt geplanten Lebenswegs – es entsteht, wenn du beschließt, die Gegenwart bewusst anzunehmen. Es ist kein Zustand, der erreicht, sondern eine Haltung, die gewählt wird. Du wirst nicht glücklich, wenn alles anders wird, sondern wenn du anders mit dem umgehst, was ist. In diesem Sinne ist Glück weniger das Ziel einer Reise, sondern die Art, wie du jeden einzelnen Schritt gehst – wach, mutig und ohne dich zu verbiegen.