Ein fundiertes, kritisch reflektiertes Werk, das sich vornehmlich an Professionals in Coaching und sozialer Arbeit richtet.
Mindset & Persönlichkeitsentwicklung

Das Resilienzgespinst

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★★★★☆

DAS RESILIENZGESPINST von Christian Grüninger* ist eine tiefgehende und kritische Auseinandersetzung mit dem immer inflationärer verwendeten Begriff Resilienz. Resilienz wird in der modernen Coaching- und Beratungsbranche mitunter häufig als Synonym für psychische Widerstandskraft verwendet. Aber ist es das auch? Der Autor setzt sich unterhaltsam und anschaulich mit der Frage auseinander, was Resilienz eigentlich ist. Kann sie vielleicht sogar gemessen werden und ist man überhaupt in der Lage, Resilienz durch Coaching zu fördern? / Anzeige

Dabei beginnt das Buch mit grundlegenden Fragen, die Christian Grüninger an seine Leser stellt:

Diese Fragen leiten auf perfekte Art und Weise direkt in das zentrale Thema dieses Buches über: die Unklarheit und Widersprüchlichkeit des Resilienzbegriffs. Pointiert deuten sie insbesondere auf seine inflationäre Verwendung in den letzten Jahren für immer mehr Felder. Der Autor beschreibt ausführlich und recht persönlich, wie er nützliche Konzepte für seine berufliche Praxis finden wollte. Jedoch musste er bald erkennen, dass eine klare Definition von Resilienz schwer zu fassen ist.

Mit dieser Beobachtung steht er sicherlich nicht allein da. Auch ich tue mir immer wieder schwer, solche Modebegriffe trennscharf zu definieren. Sei es nun Resilienz, Achtsamkeit oder auch die Finanzielle Freiheit. Für die einen bedeuten diese Begriffe jenes, für andere solches.

Christian Grüninger erklärt in seinem Werk, dass Resilienz selbst in der sozialwissenschaftlichen Forschung ein schwer fassbarer Begriff ist.

Je nach Kontext wird er mitunter ganz unterschiedlich definiert und ausgestaltet. Trotz dieser inhaltlichen Unklarheit versprechen viele Coaching- und Beratungsangebote plump eine Steigerung der Resilienz ihrer Klienten. Dies führt den Autor zu der vielleicht nicht ganz ernst gemeinten Frage: Ist Resilienz vielleicht eher ein „störrischer Esel“ als ein „leistungsfähiges Zugpferd“?

Er zeigt auf, dass die Resilienzforschung bislang zumindest keine eindeutigen, kontextunabhängigen Wirkfaktoren für Resilienz identifizieren konnte. Die Frage, wie Menschen trotz widriger Umstände unbeschadet bleiben, während andere daran zerbrechen, bleibt weitgehend unbeantwortet. Der Autor betont, dass Resilienz ein dynamischer Prozess ist, der ständig neu „verhandelt“ werden muss. Dabei sollten die beteiligten Menschen sowohl Ausgangs- als auch Mittelpunkt sämtlicher Überlegungen sein.

Grundsätzlich nähert er sich dem Thema Resilienz aus zwei beruflichen Perspektiven, als Coach und als gesetzlicher Betreuer.

Diese duale Sichtweise ermöglicht es ihm, Resilienz in zwei verschiedenen Kontexten zu betrachten: zum einen bezogen auf berufliche Herausforderungen und zum anderen im Umgang mit Menschen, die durch Krankheiten oder Behinderungen beeinträchtigt sind. Christian Grüninger argumentiert: Die Fähigkeit zur Resilienz hängt nicht nur an äußeren Umständen, sondern auch an der individuellen Wahrnehmung und Bewertung von Stressfaktoren.

Ein Großteil des Buches widmet sich der theoretischen Erörterung von Resilienz unter Einbezug systemisch-konstruktivistischer Ansätze. In diesem Zusammenhang kann Resilienz als ein Akt der Wahrnehmung und der Konstruktion von Wirklichkeit verstanden werden, so der Autor. Damit ist sie schlichtweg keine objektive Eigenschaft, sondern hängt von der Interaktion zwischen Beobachtern und den beobachteten Prozessen ab.

Dabei bietet das Buch am Ende keine konkreten Handlungsanweisungen.

Es versteht sich eher als Art Impulsgeber für eigene Überlegungen und praktische Anwendungen im Coaching und in der Beratung. Der Autor betont, dass jeder Mensch ein autonomes, sich selbst erhaltendes System ist. Resilienz entsteht im kontinuierlichen Wechselspiel von Anpassung und Nichtanpassung.

„Die unterschiedlichen Definitionen könnten den Vorwurf nach sich ziehen, Resilienz sei eine beliebige Begriffshülse. Andererseits muss man schon genau hinsehen, um sich die Unterschiedlichkeit der Definitionen überhaupt bewusst zu machen. Denn auf den ersten Blick klingt vieles doch sehr ähnlich. Vielleicht ist es gerade diese Unschärfe, die dem Begriff Resilienz zunehmende Popularität verleiht. Er mag diejenigen, die sich auf die Suche nach diesem unbestimmten Phänomen begeben haben, in ihrer Zuversicht einen, nach der gleichen Sache zu forschen, ohne dass man sich der Tatsache bewusst ist, dass es gar kein einheitliches Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse gibt.“
Christian Grüninger

An dieser Stelle ein paar Worte zum Autor:

Dr. phil. Christian Grüninger ist ein erfahrener Berater, Coach und Mediator. Er hat sich auf die Unterstützung von Einzelpersonen und Teams in ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung spezialisiert. Als selbstständiger Experte bringt er fundiertes Wissen und praktische Erfahrung in seine Arbeit ein. Sein Ziel dabei: nachhaltige Lösungen für komplexe Herausforderungen finden. Dr. Grüninger begleitet seine Klienten mit Empathie und Fachkompetenz auf ihrem Weg zu neuen Perspektiven und Erfolg.

„Die Bedeutung und Bewertung von Resilienz entwickelt sich nicht zuletzt im Auge des Betrachters. Dieser kann niemals losgelöst von den Prozessen gesehen werden, die er beschreibt. Aus der Außensicht erhält der Begriff Resilienz seine Bedeutung erst durch den Kontext, in den der Beobachter ihn stellt. Dasselbe Verhalten eines Menschen kann von einem Beobachter als resilient, von einem anderen als weniger oder gar nicht resilient beschrieben werden. Bei diesem dynamischen Prozess subjektiver Deutung kommen die Regeln genau des sozialen Systems zur Geltung, das zum Lebensumfeld des Beobachters gehört. Damit ist Folgendes gemeint: Betrachtet man den Beurteiler von Resilienz, wird sich in den meisten Fällen erweisen, dass die Einschätzung von Resilienz den Wertvorstellungen des Beobachters entspricht.“
Christian Grüninger

Optisch gefallen mir das Cover und Backcover des Buches leider offen gestanden gar nicht.

Es wirkt aus meiner Sicht nicht nur vollkommen schmucklos, sondern auch mächtig in die Jahre gekommen. Die Hardcover-Bindung ist auffallend dick, fest und klobig geraten. Das ist für eine Publikation aus dem Jahr 2017 aus meiner Sicht leider nicht ganz zeitgemäß. Der Preis von 19,90 Euro für knapp 220 Seiten in eben jener Bindung ist wiederum in Ordnung.

Leider ist auch die Druckqualität meines Print-Exemplars nicht besonders gut. So sah man beispielsweise beim grauen Balken im Inhaltsverzeichnis ein nicht durchgängiges Farbbild. Und auch manche Zahlen waren nicht lesbar, unscharf oder verschoben. Das sollte aus meiner Sicht nicht passieren.

Ebenso wirken die doch eher raren grafischen Elemente im Inneren des Buches durchweg wie aus einer anderen Zeit. Mitunter hatte ich das Gefühl, ich würde ein älteres Buch von Vera Birkenbihl lesen. Da hätte man deutlich mehr herausholen können. Das hätte nicht nur den Lesefluss angeregt, sondern das Buch auch insgesamt auf ein anderes Niveau gehoben.

Inhaltlich kann ich allerdings nichts kritisieren. Das Buch ist sauber recherchiert und gewissenhaft aufbereitet.

Unzählige – vor allem hochwertige – Quellangaben runden diesen Eindruck ab. Auch sprachlich bewegt es sich auf einem tollen und vor allem wissenschaftlichen Niveau. Dabei wird es aber nicht zu schwerfällig und bleibt angenehm lesbar. Sicherlich ist es kein Buch, das man zur Unterhaltung nebenher liest. Aber ein spannendes und vor allem wertvolles Werk für alle, die sich gründlich mit dem Thema Resilienz auseinandersetzen möchten.

Ehrlicherweise tut es mir ein wenig leid, dass dieser wertige Inhalt nicht in einem ansprechenderen Gewand daherkommt.

„Wirklichkeit ist letztendlich nichts anderes als eine subjektive Beschreibung von Unterscheidungen, die tagtäglich getroffen werden. Bei diesem Prozess der Wirklichkeitskonstruktion erschaffen sich Menschen ein individuelles geistiges Modell der Welt, von dem sie oft genug meinen, dass es objektiv sei – also der Welt selbst entspräche. Dieses Modell bleibt in weiten Teilen unübertragbar und diskriminierend; gleichwohl dient es als Orientierungsgrundlage für menschliches Handeln. Im Verlauf der Erfassung und Verarbeitung komplexer Umwelten nimmt jeder Mensch eine von unendlich vielen möglichen Beobachtungs- und Bewertungsperspektiven ein. Somit konstruiert er seinen Alltag in einem immerwährenden Prozess im Umgang mit sich selbst und mit anderen laufend neu.“
Christian Grüninger

Schlussendlich ist Das Resilienzgespinst* ein fundiertes, kritisch reflektiertes Werk, das sich vornehmlich an Professionals in Coaching und sozialer Arbeit richtet.

Ebenso aber auch an interessierte Laien, die ein tieferes Verständnis von Resilienz gewinnen möchten. Dem Autor gelingt es, die Komplexität und Widersprüchlichkeit des Resilienzbegriffs aufzuzeigen. Gleichzeitig lädt er die Leser dazu ein, über die gängigen Vorstellungen von Resilienz hinauszudenken.

Das Buch ist dabei durchaus keine leichte Kost, sondern erfordert eine offene und reflektierte Auseinandersetzung mit einem vielschichtigen Thema. Wer sich darauf einlässt, wird mit neuen Perspektiven und wertvollen Einsichten belohnt.

„Die nüchterne Wirklichkeit erster Ordnung lässt mich Resilienz als elementaren Bestandteil der menschlichen Lebensplanung und -bewältigung voraussetzen – und nicht als etwas, worüber einige Individuen verfügen und andere nicht. Eine meiner zentralen Überlegungen wurzelt deshalb in der Vorstellung, dass Menschen von Natur aus resiliente Lebewesen sind. Die Annahme, dass alle lebenden Menschen resilient sind, impliziert, dass es Resilienz im Sinne von etwas Besonderem nicht gibt. Wenn alle Zeitgenossen resilient sind, wird der Begriff beliebig und verliert sich in der Vielfalt menschlicher Lebenswege.“
Christian Grüninger

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