DIE KUNST DA ZU SEIN von Michael Huppertz*. Die Achtsamkeitspraxis hat in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Aufschwung erlebt, der jedoch auch von Kontroversen begleitet wird. Michael Huppertz nimmt seine Leser mit auf eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den vielen Facetten und Herausforderungen der Achtsamkeit. Dabei geht er kritisch auf häufig gestellte Fragen ein. Ebenso beleuchtet er die praktischen sowie konzeptuellen Probleme, die auf dem Weg der Achtsamkeit auftreten können. / Anzeige
In seiner einleitenden Betrachtung reflektiert der Autor die historische Dimension der Achtsamkeit.
Diese hat in verschiedenen Kulturen und Zeiten zweifelsohne Spuren hinterlassen. Er betont ihre vielfältige Wirksamkeit und moralische Kraft, zeigt aber auch die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen auf, denen die Achtsamkeitspraxis gegenübersteht. Insbesondere kritisiert er, dass der gegenwärtige Achtsamkeitsboom eher zur Erhaltung des Status quo beiträgt, statt tatsächliche gesellschaftliche Veränderungen zu fördern.
Von diesem Buch werden die meisten von uns sicherlich auch schon etwas mitbekommen haben. Ist „Achtsamkeit“ doch eines der Modewörter der letzten Jahre und das Angebot an Büchern, Tipps und Übungen immens.
Michael Huppertz beschreibt einfühlsam die zunehmende mentale Anstrengung in der modernen Welt.
Diese ist laut seiner Analyse von einer ständigen Informationsflut und dem Druck zur permanenten Optimierung gekennzeichnet. Dabei macht er deutlich, wie die Achtsamkeit als wirksames und mitunter leicht zu implementierendes Gegenmittel dienen kann. Mit ihrer Hilfe kann man Hindernisse wie Konsumismus, Unzufriedenheit und die Fixierung auf die Selbstoptimierung überwinden.
Insbesondere letzterer Punkt mag sich vielleicht nicht allen Menschen auf Anhieb erschließen. Wer sich allerdings bereits mit Achtsamkeit beschäftigt hat, wird wissen, was damit gemeint ist. Allen, die sich darunter nichts vorstellen können, empfehle ich ein Einstiegswerk in dieses Thema. Denn etwas mehr Achtsamkeit können wir in unserer Welt wohl alle gebrauchen.
Besonders hervorzuheben ist Michael Huppertz Fokus auf die ethischen und sozialen Dimensionen der Achtsamkeit.
Er zeigt auf, wie eine achtsame Haltung nicht nur individuelle Probleme lösen kann. Womöglich kann sie sogar zu einer gerechteren und humaneren Gesellschaft beitragen. Dabei betont er die Bedeutung von Empathie, Verantwortungsbewusstsein und einem ständigen Dialog in der Achtsamkeitspraxis.
Kritisch setzt sich der Autor zudem mit den aktuellen Trends der Achtsamkeitsbewegung auseinander. Denn diese führen oft zu einer oberflächlichen Vermarktung und Entfremdung von ihren spirituellen Wurzeln. Er plädiert dafür, die Achtsamkeit wieder in einen tieferen philosophischen und ethischen Kontext einzubetten. Dabei betont er insbesondere die Bedeutung eines ganzheitlichen Verständnisses der Praxis.
„Es begeistert mich auch nach vielen Jahren noch, dass ein abstraktes Konzept wie Achtsamkeit so konkret sein kann – es lebt im Wahrnehmen, Denken, Verhalten, Sprechen, Handeln. Es kann gelernt und geübt werden, gezeigt und geteilt werden. Seine Umsetzung kann sofort beginnen, in unendlich vielen kleinen Schritten. Der Weg der Achtsamkeit ist der Weg einer stillen Verwandlung. Sie ist in konkreten alltäglichen Situationen erlebbar und spürbar, die nun nicht mehr so grau sind, sondern so bedeutsam wie die besonderen Situationen des Lebens, die Grenzsituationen, die Highlights und ihre Schattenseiten. Das Verständnis wächst mit der Praxis und umgekehrt. Achtsamkeit ist im Idealfall ein Wissen und ein Können, eine Form von ‚tacit knowing‘, das teilweise, aber auch nur teilweise expliziert werden kann.“
Michael Huppertz
An dieser Stelle ein paar Worte zum Autor:
Michael Huppertz, geboren 1953, ist Autor und Experte auf dem Gebiet der Psychotherapie. Mit einem Dr. phil. sowie Diplomen in Soziologie, Philosophie und Medizin bietet er eine einzigartige Perspektive auf die menschliche Psyche. Der ausgebildete Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie verfügt über umfassende Fachkenntnisse und langjährige Erfahrung in der Behandlung von psychischen Erkrankungen.
Seit 1997 widmet sich Huppertz intensiv der achtsamkeitsbasierten Psychotherapie und hat in diesem Bereich mitunter wegweisende Arbeit geleistet. Seine Bücher zum Thema Achtsamkeit sind sowohl für Fachleute als auch für Laien wertvolle Quellen der Inspiration und Information.
„Die aktuelle Diskussion um die Achtsamkeit ist ein gutes Beispiel. Sie macht uns auf einige wesentliche Irrtümer aufmerksam, die sich in vielen Varianten und Ausprägungen im Mainstream der Achtsamkeit finden und nicht nur die Entfaltung des Potenzials der Idee verhindern, sondern auch die Entwicklung ihrer ethischen und politischen Überzeugungskraft und Integrität blockieren:
Schon auf den ersten Blick spürt man förmlich, dass dieses Buch reichlich solides Wissen enthält.
Es ist aus meiner Sicht eine sehr gelungene Mischung aus wissenschaftlich fundiertem Fachbuch und sprachlich etwas leichter zugänglichem Sachbuch. Mir gefällt auch nicht zuletzt seit Rolf Dobelli der Ansatz der Mini-Essays zu verschiedenen Nuancen, um ein Themenfeld vollumfänglicher abzubilden. Bei Michael Huppertz muss ich aber hervorheben, dass er trotz der Kürze häufig eben auch die Tiefe geliefert hat.
Fast 300 picke-packe-volle Seiten mit Randnotizen bescheren den Lesern einen umfassenden Überblick über das Modethema „Achtsamkeit“. Es gibt eher wenige Übungen, aber dafür viel tiefdringendes Hintergrundwissen. Damit ist es sicherlich keine leichte Kost, aber durchaus auch scheibchenweise und leicht verständlich lesbar. Überraschend leicht sogar, muss ich gestehen. Das wird wohl am Essay-Ansatz liegen, durch den sich das Buch selbst auf dem Nachttisch gut macht.
25,00 Euro sind sicherlich nicht wenig für den Umfang, die Softcover-Bindung und die Gestaltung. Aber die inhaltliche Dichte ist dann doch so hoch, dass der Preis in meinen Augen mehr als angemessen ist.
Ehrlicherweise ist das Buch in meinen Augen schon fast eine Pflichtlektüre.
Zumindest für alle, die sich mit dem Thema Achtsamkeit intensiv auseinandersetzen möchten oder es gar andere zu lehren versuchen. Michael Huppertz¢Erfahrungsschatz als Autor ist wirklich wertvoll und war auch für mich an vielen Stellen noch augenöffnend. Obgleich ich schon sehr viele Bücher zu diesem Themenkomplex lesen durfte und seit Jahren Achtsamkeitsübungen aktiv in meinen Alltag einbaue.
„Viele Menschen haben seit Jahrtausenden in unterschiedlichen Kulturen geahnt, gespürt und beschrieben, welche weitreichenden Konsequenzen die Haltung der Gegenwärtigkeit, Absichtslosigkeit und Offenheit für ihr Leben haben kann. Viele von ihnen haben ihr ganzes Leben mit der Praxis der Achtsamkeit und dem Nachdenken über sie verbracht. (…) Die Haltung der Achtsamkeit ist ein geistiges Weltkulturerbe, das nirgendwo zu Hause ist. Es taucht in Form von Spuren, Facetten oder prominenten Darstellungen in vielen Kulturen und Zeiten auf. Wir finden es in spirituellen Traditionen, in zahllosen Empfehlungen zur Lebenskunst, in Gedichten, Romanen und Tagebüchern und in ganz privaten Erzählungen.“
Michael Huppertz
Insgesamt liefert Die Kunst da zu sein* eine fundierte und reflektierte Auseinandersetzung mit der Achtsamkeit.
Dabei geht das Werk weit über die Vielzahl an oberflächlichen Ratgebern zum Thema hinaus. Der Autor regt dazu an, Achtsamkeit als anspruchsvolle Kulturleistung zu verstehen und sie in einen breiteren gesellschaftlichen Kontext zu stellen. Sein Buch ist ein wichtiger Beitrag für alle, die sich tiefergehend mit der Thematik auseinandersetzen möchten. Wie auch für diejenigen, die nach einer fundierten Grundlage für ihre Achtsamkeitspraxis suchen.
Mir persönlich ist es nicht so wichtig, aber ich möchte dennoch darauf hinweisen, dass mit Doppelpunkt gegendert wird. Das wollen bekanntlich einige Leser immer noch vorher wissen.
„Die praktischen Probleme sind nach meinem Eindruck leichter lösbar als die konzeptuellen Fragen. Wir können mit etwas Erfahrung und Nachdenken schon viel dazu sagen, was zu tun ist und was wir besser lassen sollten. Wir können Umwege vermeiden und uns auf das Wesentliche besinnen. Wir können alles vermeiden, was eine eigentlich einfache Sache unnötig kompliziert macht.“
Michael Huppertz
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