GELD ODER LEBEN von Nikolaus Braun* erzählt in 30 Geldgeschichten, dass man sich nicht zwischen diesen beiden Kategorien entscheiden muss. Und dass man das zumeist auch gar nicht kann. Sie gehören in unserer Gesellschaft einfach zusammen. Es liegt an uns, diese zunächst einmal wertfreien Begriffe mit Inhalt zu füllen. Geld ist nicht per se schlecht und einfach in den Tag hineinzuleben auch nicht per se gut. Nicht über Geld zu sprechen, sein Leben zu vergeuden oder Unsinn mit dem eigenen Vermögen zu treiben: Das sind für den Autor keine Option. / Anzeige
Nikolaus Braun ist sich sicher: Dass man nicht über Geld spricht, ist ein toxischer Glaubenssatz, der dringend aufgebrochen werden muss.
Denn gerade dieser stehe dem entspannten Umgang mit Geld oft im Weg.
„‚Über Geld spricht man nicht.‘ Dieser Glaubenssatz ist vermutlich die wichtigste Ursache dafür, dass sich viele Menschen beim Thema Geld nicht nur inkompetent fühlen, sondern es auch sind. Worüber ich nicht sprechen kann, darüber kann ich auch nicht nachdenken.“
Nikolaus Braun
Am Ende hat mich dieses Buch aber leider nicht ansatzweise so überzeugt wie sein erstes Buch Über Geld nachdenken*. Hier kommst du zu meiner Rezension. Dieses hatte mich wirklich begeistert und gehörte nicht ohne Grund zu den besten Finanzbüchern, die ich 2022 lesen durfte.
„Geld ist […] in den seltensten Fällen ein verlässlicher Indikator für Erfolg. Ist ein faktisch unbezahlter Olympiasieger im Florettfechten weniger erfolgreich als ein gutverdienender Fußballprofi in der zweiten Bundesliga?“
Nikolaus Braun
Sein neues Buch Geld oder Leben* finde ich allerdings für ein Taschenbuch mit rund 26 Euro doch recht teuer.
Leider bietet es keine wirklich nennenswert herausragende Gestaltung und auch nur überschaubaren inhaltlichen Mehrwert. Vor allem im Vergleich zu seinem vorherigen Buch, zu dem es im Übrigen erhebliche Überschneidungen gibt. Über Geld nachdenken* hatte noch 24,95 Euro gekostet und ein Buch wie Über die Psychologie des Geldes von Morgan Housel* kostet nur 18 Euro. Dabei kommt es mit Paperback-Bindung meiner Meinung nach höherwertiger daher und hat auch inhaltlich mehr zu bieten. Hier kommst du zu meiner Rezension zum Buch von Morgan Housel.
In Geld oder Leben* habe ich Dopplungen, Überschneidungen und teilweise eins zu eins übernommene Passagen aus dem ersten Buch gefunden. Das hat mich an vielen Stellen rätseln lassen, was der Autor nun mit diesem weiteren Werk beabsichtigen wollte. Wenn ich es allerdings losgelöst davon betrachte, dann weiß dieses Buch dennoch zu überzeugen. Doch wer bereits Über Geld nachdenken* gelesen hat, braucht dieses Buch nicht unbedingt als Ergänzung dazu.
Anhand von unzähligen Praxisbeispielen schildert der Autor teilweise frappierende Schicksale von Menschen im Umgang mit Geld.
Diese bilden meiner Meinung nach nicht nur einen guten Querschnitt unserer Gesellschaft ab. Zumindest habe ich aus den Erzählungen in meinem Umfeld ähnliches zu hören bekommen. Sondern es legt einmal mehr nahe, dass das Angebot an Finanzberatung in unserem Land qualitativ höchst breit gefächert ist. Das bringt Nikolaus Braun in seinem Werk an vielen Stellen deutlich drastischer zum Ausdruck. U .a. bereits in seinem Disclaimer zu Beginn des Buches:
„Disclaimer: Die Finanzindustrie hat eine fast unlimitierte Feuerkraft für Lobbyismus, Gefälligkeits-Gutachten und Rechtsstreitigkeiten. Vor diesem Hintergrund: Bitte bemühen Sie sich nicht weiter.
Alle Geschichten sind frei erfunden und entspringen ausschließlich meiner Fantasie. Falls sich trotzdem der eine oder die andere wiedererkennen sollte, mögen er oder sie sich bitte an die eigene Nase fassen.
Dann habe ich mir vor dem Hintergrund meiner Berufserfahrung eben zufällig etwas ziemlich Realistisches ausgedacht. In diesem Sinne bitte ich insbesondere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den Rechtsabteilungen von Finanzvertrieben, davon auszugehen, dass das ‚Ich‘ in meinen Erzählungen ein erzählerisches Ich ist.“
Nikolaus Braun
Wiederholt werden in diesem Buch die systemischen Schwächen der Finanzindustrie in unserem Land offengelegt.
Es erzählt von Bankern, die unter permanentem Verkaufsdruck stehen. Von Finanzdienstleistern, denen vor der ersten Produktschulung zunächst einmal der Leasing-Katalog des benachbarten Autohauses mitsamt reißerischer Vertriebsschulung mit auf den Weg gegeben wird. Und von Versicherungsmaklern, die sich allzu gerne „unabhängig“ schimpfen, am Ende aber nicht nur kein Geld verdienen, wenn es keinen Abschluss gibt. Sondern die auch noch unterschiedlich viel Provision von den Versicherungsgesellschaften in ihrem ohnehin nicht allumfassenden Produktportfolio erhalten.
„Dem Thema Geld über den Verstand, durch Zahlen, Daten und Fakten, nahezukommen, funktioniert nur sehr bedingt. Es gibt zwar – neben ziemlich viel finanzpornografischem Mist – auch einige brauchbare Bücher zum Thema Geld. Doch auch bei den Leserinnen und Lesern guter Finanzratgeber klafft eine riesige Lücke zwischen dem, was sie eigentlich verstanden haben, und dem, was sie tun. Sie sind erstaunlich konsequent darin, die erhaltenen Ratschläge zu ignorieren […].“
Nikolaus Braun
Die durchaus unseriösen Verkaufsmethoden dieser Branche zielen in der Regel darauf ab, möglichst wenig Wissen zu vermitteln. Sie wollen lieber mehr Interesse wecken, Abschlüsse machen und Rückfragen mit gezielt zurechtgelegten Fachbegriffen und Floskeln torpedieren. So wird stets das Machtverhältnis zwischen „Berater“ und Kunde zementiert. Das kann man sicherlich nicht allen „Beratern“ und Verkäufern in diesem Land vorwerfen, aber es wird systemisch gefördert.
Das für mich in diesem Zusammenhang prägnanteste Beispiel ist der Vergleich zwischen einer ETF-Rentenpolice und einem privaten ETF-Sparplan.
Mir sind für diesen Vergleich gleich mehrere Hochrechnungen von unterschiedlichen Seiten (Honorarberatern, Verkäufern auf Provisionsbasis und Coaches) bekannt. Keine einzige dieser Rechnungen legt einen deutlichen Vorteil für die ETF-Rentenpolice dar. Aber selbst wenn wir die Vorteile hinsichtlich der Flexibilität beim privaten ETF-Sparplan außer Acht lassen: Ich kenne Szenarien, unter denen der ETF-Rentenpolice die Luft ausgeht. Insbesondere mit etwas steuerlichem Wissen und Geschick beim Entsparen. In dieser Diskussion darf man aber nie vergessen, dass für „Berater“ auf Provisionsbasis hier eine weitere Abwägung im Raum steht: Fünfstellige Provision beim Abschluss einer ETF-Rentenpolice oder aber 0 Euro Provision, wenn der Kunde einen privaten ETF-Sparplan abschließt.
Da kann man sich selbst überlegen, in welche Richtung die Empfehlung tendieren könnte, wenn man es rechnerisch knapp argumentieren kann.
„Intransparenz: Viele Provisionen – gerade die laufenden Zahlungen – sind für einen Laien bis heute faktisch nahezu unsichtbar. Da müsste man schon die Produktinformationsblätter und Prospekte im Detail durchkämmen. Noch schlimmer: Unterschiedliche Produkte bringen dem Verkäufer unterschiedlich hohe Provisionen – geschlossene Beteiligungen bis zu 10 Prozent, Aktienfonds oder Zertifikate 5 Prozent, ein ETF oder eine Staatsanleihe aber nur 1 oder 0,5 Prozent.
Was wird Ihnen Ihr Verkäufer also empfehlen? Was wäre, wenn der richtige Rat lauten würde: ‚Machen Sie mal im Moment am besten gar nichts!‘ Ist das realistisch, dass Ihnen das Ihr Verkäufer sagt? Natürlich tut er das nicht, das kann er gar nicht, ohne mittelfristig zu verhungern oder seinen Job zu verlieren. Denn faktisch steht er unter einem immensen Verkaufsdruck seitens seines Arbeitgebers oder als Selbstständiger, weil er seine Rechnungen bezahlen muss. Mit Ihrem Bankverkäufer oder ‚unabhängigen‘ Finanzberater zu reden, ist also nicht nur sinnlos, es ist gefährlich. Mag er noch so freundlich und sympathisch sein – er ist Teil eines gegen Ihre Interessen gerichteten Systems.
Dabei wäre alles so einfach: Ein komplettes Provisionsverbot, wie es Verbraucherschützer oder die Bürgerbewegung ‚Finanzwende‘ fordern, ist kein Hexenwerk. Im Vereinigten Königreich, den Niederlanden und Australien funktioniert das auch. Deutschland bleibt hier weiter Entwicklungsland und die Bankenlobby nach wie vor bestens vernetzt mit den politischen Entscheidern. Nicht zuletzt mithilfe einer hoch tendenziösen ‚Studie‘ von KPMG ist es ihr nach der Bundestagswahl 2021 noch einmal gelungen, ein drohendes Provisionsverbot abzuwenden. Das ist beim besten Willen nicht einzusehen. Steuerberater werden auch nicht vom Finanzamt bezahlt. Anwälte verlieren ihre Zulassung, wenn sie Gelder der Gegenseite annehmen – das nennt man Mandantenverrat. Weshalb Mandantenverrat in einem der wichtigsten Lebensbereiche, wo es um Ihre Lebensqualität, Ihren Lebensstandard im Alter oder die Ausbildung Ihrer Kinder geht, legal sein soll, ist nicht zu verstehen.“
Nikolaus Braun
Dasselbe gilt im Übrigen auch für die Fragestellung zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung.
Auch das ist stets eine unglaublich individuelle Abwägung, aber auch hier reden wir von lukrativen Provisionen und der Frage: 0 Euro Provision oder im Zweifel doch lieber eine hohe vierstellige Summe auf dem eigenen Konto?
Manche „Berater“ stehen nur wenige Male im Monat vor solchen durchaus kniffligen Entscheidungen. Und sie müssen dann stets abwägen, in welche Richtung die Empfehlung ausgesprochen wird. Bei den Provisionen sprechen wir über eine Range von 0 Euro bis hin zu niedrigen sechsstelligen Beträgen.
Kein Wunder, dass der ein oder andere „Berater“ für das Protokoll dann auf ganz findige Fragestellungen kommt. Anhand derer nimmt er vermeintlich wichtige Präferenzen der Kunden auf und kann die Empfehlung damit problemlos argumentieren.
„Wir sollten […] beobachten […], was wir mit Geld machen, vor allem aber sollten wir verhindern, dass Geld etwas mit uns macht. Dass es Besitz von uns ergreift, Macht über uns bekommt.“
Nikolaus Braun
Bevor mir nun wieder einige Versicherungsmakler oder Finanzdienstleister böse Nachrichten schreiben: Wenn ihr immer ehrlich und wirklich unabhängig unterwegs seid, euch vom großen Geld nicht locken und auch ansonsten nichts zuschulden kommen lasst, dann feiere ich das zutiefst. Glaubt mir nur: Ich habe schwarz auf weiß etliche solcher Beispiele in meinem direkten Umfeld erlebt. Sonst hätte ich das hier gerade nicht in aller Deutlichkeit so geschrieben.
Dieses durchaus heikle Thema und die Offenheit, mit der Nikolaus Braun es thematisiert, imponiert mir.
Dafür gibt es von meiner Seite einen Bonuspunkt. Allerdings muss ich Abzüge machen für all die Geschichten und Schlussfolgerungen, die bereits in seinem vorherigen Buch vorkamen.
Nikolaus Braun präsentiert uns einen breiten Einblick in die psychologischen Aspekte des Geldes. Und in die Fallstricke, die uns in finanziellen Angelegenheiten begegnen können. Die Geschichten aus dem echten Leben vermitteln auf anschauliche Weise die Bedeutung von Finanzplanung. Und sie zeigen, wie unsere Entscheidungen Einfluss auf unsere Lebensqualität haben können.
„Wenn aber ‚die Reichen‘ daran schuld sind, dass ich arm bin, und Geld mich gleichzeitig zu einem schlechteren Menschen macht, dann blockieren genau diese Gedanken schon allein den Versuch, man könne sich auch selbst um sein ökonomisches Fortkommen kümmern. Das Identifizieren eines Schuldigen und einer überzeugenden Ursache erspart hier – wie so oft – das Suchen nach einer Lösung. Zumal selbst vermögend zu werden, nach dieser Logik auch bedeuten würde, selbst ein moralisch verwerflicher Mensch zu werden.“
Nikolaus Braun
Er bricht das Dilemma zwischen „Geld und Leben“ auf und rückt die Themen in den Mittelpunkt, die unmittelbar mit dem Leben verbunden sind. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Luxus, Reichtum, Ungleichheit, Angst, Liebe, Identität und vieles mehr.
Sehr gelungen empfand ich in diesem Zusammenhang auch den Dialog zu Beginn des Buches:
„Du schreibst noch mal ein Buch über Geld?
Ja, wieso?
Fällt dir denn wirklich nichts Besseres ein?
Ja, was denn?
Liebe, Tod, Freundschaft, Verbrechen, Vertrauen, Verrat, soziale Ungleichheit, der Drang des Menschen, sich zu ernähren und fortzupflanzen, sich weiterzuentwickeln. Wer bin ich? Was kann ich? Das Streben nach Wissen, Macht, Erfolg, Glück – nach Spiritualität. Reicht das? Ist doch alles viel besser, oder?
Eben – und genau um all das geht es.
Wie?
Pass auf: Ich erzähle dir eine Geschichte darüber, wer man ist, was man kann, über das Streben nach Wissen und Erfolg, über Liebe, Freundschaft, Vertrauen und Betrug – eine Geschichte über Geld. Hör zu.“
Nikolaus Braun
Insgesamt ist es ein gutes Buch, das wichtige Themen der Psychologie und Finanzen behandelt.
Es regt zweifelsfrei dazu an, über unsere Beziehung zum Geld nachzudenken und die eigenen Denkmuster zu hinterfragen. Das Buch behandelt definitiv wichtige und viel zu selten angesprochene Themen. Aber es ist an einigen Stellen dann doch etwas zu langatmig. Der Autor hat im Grunde unzähligen Geschichten gesammelt, die ihm zugetragen wurden oder die er selbst erleben durfte. Damit beschreibt er, welche Abgründe sich in der Finanzbranche tagein, tagaus ergeben. Und vor welche Herausforderungen Privatanleger immer wieder gestellt werden.
Er zeichnet ein durchweg negatives Bild von dieser Branche. Doch deren Lobby ist in Deutschland leider noch viel zu groß, um deutliche Veränderungen herbeiführen zu können. Mangelnde Finanzberatung hat für ihn nicht unbedingt individuelle oder moralische Gründe, sondern ist systembedingt.
Am Ende kommt es aber nicht ganz an sein erstes Buch Über Geld nachdenken* heran. Und ich muss auch sagen, dass Werke wie Über die Psychologie des Geldes* mir dann doch deutlich besser gefallen haben. Deswegen auch die Abstufung. Insgesamt kein Buch, das ich als Pflichtlektüre bezeichnen würde. Und auch vom Schreibstil her nicht unbedingt eines der Werke, die man entspannt vor dem Schlafengehen liest.
Trotzdem bietet auch dieses Buch einen guten Einstieg für Leser, die sich zu Unrecht vielleicht immer noch die Frage stellen: Geld oder Leben.
Wenn du auf der Suche nach weiteren spannenden Büchern bist, dann findest du unter Buchtipps eine interessante Auswahl aus über 450 ausführlichen Rezensionen. Diese kannst du individuell nach Preis, Seitenanzahl, Themenbereich, Bewertung und Zielgruppe filtern. Solltest du eine vergleichbare Buchempfehlung für mich haben, dann schreib mir doch gerne über meine Social-Media-Kanäle.