ISLAM, GELD UND WOHLSTAND von Michael Gassner* ist ein Finanzbuch mit ganz anderem Schwerpunkt: Islamic Finance. Dabei handelt es sich um einen noch recht jungen und interessanterweise in Deutschland begründeten Forschungs- und Beratungszweig. Wie der Name es schon vermuten lässt, geht es um ethisch korrektes Handeln mit den eigenen Finanzen in Bezug auf den muslimischen Glauben. / Anzeige
Der Autor Michael Gassner gehört zu den Wegbereiter:innen des Islamic Banking im deutschsprachigen Raum, sowohl in der Theorie als auch in der Praxis. In diesem Buch behandelt er elementare finanzspezifische Themen aus Sicht der Anleger:innen, wie sie ethisch richtig ihr Geld investieren und vernünftig mit Schulden und Krediten umgehen können. Und er erklärt, welche Rolle Geld im muslimischen Glauben überhaupt spielt.
Ethisches Investieren nimmt einen immer größeren Stellungswert unter Investoren und Investorinnen ein.
Damit ist die Definition von „ethisch“ selbstverständlich extrem individuell und abhängig von der Herkunft, den eigenen Werten, Religionen und Präferenzen. Gerade der Islam lässt sich auf den ersten Blick nur schwer mit Geld und Wohlstand verbinden, bedenkt man das Zinsverbot und den eher negativen Blick auf Vermögen. Doch das ist nur eine beschränkte Sicht, wie der Autor es wunderbar herausarbeitet.
„Islam, Geld und Wohlstand: Was haben diese Themen miteinander zu tun? Muslimen fällt zuerst das Stichwort Zinsverbot ein und wie sie damit umgehen. Für Christen ist das Thema Zinsverbot nicht mehr präsent, aber seit Nullzins oder Negativzins stehen sie vor derselben Herausforderung: Wie können wir investieren ohne Zinsen?“
Michael Gassner
Dabei klärt er so viele wichtige Fragen, wie: Warum macht das Zinsverbot vielleicht doch Sinn? Wie wirken sich Schulden auf Arme und Reiche aus? Wie gehen Muslime und Musliminnen mit Schulden um? Wird Vermögen positiv oder negativ gesehen? Wie kann man Geld erwerben, bewahren und ausgeben? Was ist Geld überhaupt? Was sind Kryptotoken und welche Meinungen vertreten Gelehrte dazu oder auch zum Kauf eines Hauses? Was ist bei der Aktienauswahl erlaubt? Und welche Versicherungen sind islamkonform? Wie wird die Sozialabgabe des Zakat berechnet und welche Aspekte sind bei Nachlassplanung und Testament zu beachten?
Man spürt bereits, wie vielfältig und tiefgreifend ein islamkonformer Blick auf den großen Finanzbereich sein kann.
Für mich ein wunderbares Buch für alle gläubigen Muslime und Musliminnen, aber auch für Interessierte wie mich, die gerne den eigenen Horizont erweitern und in eine Welt eintauchen, mit der sie so bislang noch nicht viele Berührungspunkte hatten.
„Wenn das Geld in deiner Hand ist und nicht in deinem Herzen, dann kann es dir nicht schaden, selbst wenn es viel ist; ist es aber in deinem Herzen, dann wird es dir schaden, selbst wenn nur wenig in deiner Hand ist.“
Ibn Qayyim
Michael Gassner selbst lebt und arbeitet in Genf und ist dort hauptberuflich als Head of Islamic Finance einer Schweizer Privatbank tätig. Zugleich ist er Mitglied des Sharia Boards der Bosna Bank International in Sarajevo. Nach einer Bankausbildung studierte er Wirtschaftswissenschaften. Sein Auslandssemester verbrachte er damals in Damaskus, um Arabisch zu lernen. Dem Berufseinstieg in der New Economy folgte die Tätigkeit als Berater mit Schwerpunkt auf Islamic Finance. Nachdem er in Jeddah bei der AlJazira Bank die islamische Produktentwicklung betreute, führte ihn sein Weg in die Schweiz.
Sein Werk ist höchst praktisch geschrieben. Er arbeitet sukzessive heraus, was jede:r Einzelne tun kann und welche Regeln es zu befolgen gilt.
Inhaltlich befasst er sich im ersten Kapitel mit der Förderung des Gemeinwohls. Es steht unter dem Titel „Schulden, Zinsen und Ungleichheit“ und bietet einige interessante Blickwinkel. Danach geht es um das richtige Mindset und einen verantwortungsbewussten Umgang mit Geld.
„Welche Perspektive vertreten wir im Islam zum Thema Vermögen und welche Einstellungen zeigen Millionäre? Kann man reich sein und gleichzeitig besonders verdienstvoll zugunsten Dritter?“
Michael Gassner
Danach geht es dann ans Eingemachte und um die Frage, wie verschiedene Finanzprodukte islamisch bewertet werden. Gleichzeitig wird aber auch viel Grundwissen zur richtigen Vermögensaufteilung vermittelt.
Zu allen Punkten werden stets verschiedene Meinungen von islamischen Gelehrten und auch aus der heiligen Schrift selbst angeführt. Ich finde es wirklich bemerkenswert, wie tief sich ein Westeuropäer ohne muslimischen Hintergrund sowohl in die arabische Sprache als auch in die heiligen Schriften der Muslime und Musliminnen und ihre heutigen Interpretationen einarbeiten kann. Für mich waren viele Begriffe wie beispielsweise „Rukhsa“, „Nasiha“ oder „Fatwas“ ein Buch mit sieben Siegeln. Nach diesem Buch habe ich aber das Gefühl, zumindest die Zusammenhänge besser verstehen zu können.
Und gerade das fördert immer wieder das kulturelle Miteinander und ist auch eine der wichtigsten Lehren für mich aus all den Büchern: Das Wissen und ein Verständnis für andere Perspektiven beugen Konflikten und Missverständnissen vor.
Im weiteren Verlauf des Buches werden die Erkenntnisse der vorhergehenden Kapitel aufgearbeitet und zu praxisorientierten Checklisten zur Ordnung der eigenen Finanzen umgewandelt. Dadurch ist dieses Buch vor allem für Einsteiger:innen besonders geeignet ist.
Es ist dabei aber kein reiner Ratgeber über eine Sammlung islamischer Rechtsmeinungen.
„Es reicht nicht festzustellen, ob ein Handelsgeschäft vor einem islamischen Richter rechtsgültig wäre, sondern vielmehr geht es darum, wie ein Muslim konkret Vorsorge betreibt, Vermögen erwirbt und verwendet in Hinblick auf die besten Ergebnisse im Diesseits und Jenseits. Das islamische Recht (Figh) wird dafür mit Charakter (Akhlaq) und gutem Benehmen (Adab) betrachtet. Es geht um Ihsan, das Streben nach Gutem. Das schmälert nicht die Wissenschaft des Figh, welche weitere Wissenschaften immer heranzieht, um Entscheidungen treffen zu können.“
Michael Gassner
Für Interessierte werden darüber hinaus noch ein umfangreiches Glossar und weiterführende Literaturhinweise geboten.
Der Wunsch des Autors war es, mit diesem Buch Finanzbildung zu vermitteln. Es ist gleichzeitig das Resultat seines Lebensweges.
4 Sterne für ein wirklich spannendes Werk aus einer anderen Welt. Ich werde nicht müde zu betonen, wie beachtlich ich es finde, dass ein Europäer nicht nur der arabischen Sprache mächtig wurde, sondern sich auch tief in die finanzwirtschaftlichen Fragen aus Islam-Sicht hineingearbeitet hat. An hunderten Stellen zitiert er aus dem Koran selbst oder aus neueren Schriften und Interpretationen und untersucht beinahe jedes Finanzinstrument auf die ethische Korrektheit.
Für mich zwar nicht relevant, aber dennoch super interessant. Zumal es dazu noch ein gelungenes Einsteigerwerk im Bereich Finanzen ist – insbesondere für den Schwerpunkt Islamic Finance.