Ein tief trauriges, ehrliches und wertvolles Sachbuch über einen möglichen Umgang mit dem Tod. Von einer Trauerrednerin, die viel erlebt hat.
Mindset & Persönlichkeitsentwicklung

Was bleibt, wenn wir sterben

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WAS BLEIBT, WENN WIR STERBEN von Louise Brown* sind die unglaublich bewegenden und lehrreichen Erfahrungen einer Trauerrednerin. Sie halten uns unerbittlich den Spiegel vor Augen, was bleibt, wenn wir sterben. Es mag vielleicht etwas befremdlich wirken, wenn sich junge Menschen wie ich so intensiv mit dem Tod beschäftigen. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir in der Auseinandersetzung mit dem Sterben sehr viel Nützliches für unser Leben lernen können. / Anzeige

Die Autorin hat es zumindest geschafft, mich Kapitel für Kapitel zum Weinen zu bringen. Vielleicht liegt das an meiner sehr emotionalen und empathischen Ader. Vielleicht aber auch an der Tatsache, dass ich vor nicht allzu langer Zeit eine sehr geliebte Person für immer verabschieden musste. „Die Endlichkeit des Lebens gibt dem Leben erst seinen Wert“, durfte ich schon häufig lesen. Ich bin zumindest davon überzeugt, dass das Bewusstsein über die Endlichkeit unseres Lebens unseren Blick für selbiges schärft.

Der Job einer Trauerrednerin ist sicherlich emotional herausfordernd. Genauso wie in der Sterbebegleitung, generell im Hospiz, aber auch auf der Intensivstation und rund um die Bestattung. Hier ziehe ich den Hut vor allen Beteiligten. Einige Erlebnisse nimmt man von dort sicherlich mit nach Hause. Und andere begleiten einen womöglich ein Leben lang. Bei Louise Brown war es ein persönliches Ereignis, das alles verändert hat.

Nach dem Tod ihrer Eltern versuchte die Journalistin der Endlichkeit des Lebens etwas Sinnstiftendes abzugewinnen. Sie wurde Trauerrednerin. Und das veränderte nicht nur ihre Einstellung zum Tod, sondern eben auch ihre Haltung zum Leben.

„Louise Brown schenkt uns unvergessliche Bilder, die daran erinnern, was uns als Menschen ausmacht. Ein tröstendes und befreiendes Buch, das Mut macht, das Leben auf die Dinge auszurichten, die von Bedeutung sind.“
Vom Backcover

Die beiden wichtigen Aufgaben einer Trauerrednerin liegen im Zuhören und Erzählen. Zuhören müssen sie den Angehörigen, den Hinterbliebenen, die im Trauergespräch vom Leben der Verstorbenen berichten. Wie man sich vorstellen kann, sind dies keine einfachen Gespräche. Häufig werden die Erzählenden von Emotionen überwältigt. Und dennoch kann man auch viel Klarheit spüren. Es sind wertvolle Gespräche, in denen man nicht nur viel über die Beteiligten erfährt, sondern auch über das Leben selbst. Denn selbstverständlich gehört dazu, was beide Seiten bedauern und was sie besonders positiv in Erinnerung behalten. Was ihnen wichtig war und was sie sich anders gewünscht hätten.

So können wir einen kurzen Blick darauf erhaschen, was bleibt, wenn wir sterben.

Die zweite Aufgabe ist dann nicht minder schwer. Denn auf der Trauerfeier erzählen Menschen wie Louise Brown dann die Geschichten der Verstorbenen und ihrer Hinterbliebenen. Damit verleiht sie ihnen in diesem schwierigen Moment des Abschiednehmens menschliche Wärme und Trost.

„In meiner Rede werde ich vom Leben und Sterben dieser Menschen erzählen. Wie immer hoffe ich, dass ich den Angehörigen etwas von ihrem Schmerz zu nehmen vermag; dass ich ihnen Halt geben kann auf ihrem Weg in ihr Leben ohne die Verstorbenen.

Wie das geht? Es gibt keine Formel für das Gelingen einer Trauerrede. Sicher gibt es sie auch nicht, die perfekte Trauerrede. Aber wenn eine Tochter sagt, sie hatte das Gefühl, dass ihr Vater bei der Abschiedsfeier dabei gewesen sei, und sie habe dies als tröstlich empfunden, oder wenn mich ein Trauergast hinterher fragt, ob ich den Verstorbenen gekannt hätte, dann weiß ich, dass ich mit meinen Worten zumindest einige der Zuhörenden erreicht habe. Oder einige Gäste sich und ihren Verstorbenen in ihnen wiedergefunden haben. Und dass diese Worte in einer Zeit, in der den Trauernden so vieles fremd erscheint, zumindest für die Dauer der Abschiedsfeier eine Vertrautheit ermöglicht haben.

Allein mit Daten und Fakten gelingt eine Rede nicht, glaube ich. Nur, welche Bilder und Lebensmomente sollte man zu den Fakten hinzuholen?

Welche sind die richtigen, die wichtigen Erinnerungen? Welche schenken einem das Gefühl, dass ein verstorbener Mensch einem wieder nahe ist?“
Louise Brown

An dieser Stelle ein paar Worte zur Autorin:

Louise Brown wurde 1975 in London geboren und zog als Jugendliche mit ihrer Familie nach Norddeutschland. Sie studierte Politikwissenschaft in Nordengland, Kiel und Berlin. Heute ist sie als Journalistin und seit einigen Jahren auch als Trauerrednerin in Hamburg tätig.

„Es gibt in unseren Leben zwei fundamentale Ereignisse: die Geburt und den Tod. Während sich ein neuer Mensch mit der Fanfare kindlichen Geschreis ankündigt, nimmt ein Sterbender in tiefer Stille Abschied. Auch wenn Ärztinnen oder Familienmitglieder an seinem Lebensende um ihn herumwuseln, wenn Geräte piepsen oder Stimmen laut werden, erleben viele Angehörige den Moment des Sterbens – zumindest beschreiben sie es so –, als würde sich das Geschehene in Zeitlupe abspielen oder die Zeit stillstehen. Auch in den Minuten oder Stunden nach dem Sterben bleibt etwas von dieser Stille wie ein lautloses Echo im Raum; eine Stille, die viele von uns gar nicht mehr kennen oder nicht kennen wollen.“
Louise Brown

Jede einzelne Geschichte aus dem Leben und rund um den Tod der vielen Menschen, die die Autorin begleiten durfte, ist für sich herzzerreißend.

Am meisten haben mich aber die Schilderungen über den Tod ihrer eigenen Mutter beeindruckt. Diese Erfahrungen waren für sie auch der traumatische Auslöser, Trauerrednerin zu werden.

„Meine Mutter verstarb nachts, auf der Palliativstation eines ländlichen Krankenhauses. Am nächsten Tag lag sie aufgebahrt in einem kleinen weißen Zimmer, dem ‚Raum der Stille‘. Ich kam morgens eilig aus der Großstadt an, um bei meinem Vater zu sein, der in sich zusammengesunken an ihrem Bettrand saß. Als ich das Zimmer betrat, wurde mir das Spüren fast zu viel. Beim Anblick meiner Mutter schien mein Schmerz nur noch größer zu werden, als würde etwas in mir zerreißen. Für meinen Vater hingegen waren die Stunden am Bett seiner verstorbenen Ehefrau schmerzhaft, aber notwendig.

Am liebsten wäre er bei ihr geblieben, bei der Frau, die ihn über fünfzig Jahre begleitet hatte. Die ihm in diesem Moment noch greifbar nahe war, ihm aber gleichzeitig entschwand.

Während draußen der Wind durch die Pappeln rauschte, wurde die Stille im Raum zu laut für mich. Vielleicht, weil ich eine solch endgültige Stille noch nie erlebt hatte. Bis dahin war ich dem Tod kaum begegnet. Ich, die vermeintlich erfahrene und mutige Journalistin, die einen Terrorstaat bereist hatte und in einem britischen Militärflugzeug ans Ende der Welt geflogen war, verharrte nach dem Anblick meiner verstorbenen Mutter wie betäubt auf dem Krankenhausflur. Als würde ich vor einem Abgrund stehen. Es war ein demütigender und beängstigender Moment, der mich an die Zeichentrickserien meiner Kindheit erinnert, in denen sich vor Scooby Doo plötzlich eine Falltür auftat, in die er hinunter- und dann haltlos durch die Dunkelheit stürzte.

Der erste Verlust einer geliebten Person ist eine Wegmarke im Leben. Nichts ist danach wie zuvor.“
Louise Brown

Die Autorin berichtet, wie düster sich diese Erfahrungen für sie angefühlt haben. Und dennoch ist sie davon überzeugt, dass die Begegnung mit dem Tod auch eine Chance in sich bergen kann.

„Es ist faszinierend, wie gut wir Menschen verdrängen können. Wie wir mit geschlossenen Augen durch die Straßen wandern und uns dann darüber wundern, wenn wir früher oder später gegen einen Laternenpfahl stoßen. Und der Aufprall kommt bestimmt. An diesem Nachmittag teilte mir meine Mutter mit, dass die Oberärztin mit mir sprechen wolle. Was sie nicht sagte, ich aber dennoch aus ihren Worten heraushörte, war: Dann weißt du es. Wie lange ich noch zu leben habe. Und du wirst es mir sagen.

Wenig später saß ich vor der Ärztin, zwischen uns eine blaue Mappe, versehen mit dem Namen meiner Mutter. Von ihren Lippen purzelten medizinische Begriffe, von denen ich heute keinen mehr nennen könnte, die aber alle auf das Gleiche hinausliefen: Meine Mutter würde die Woche vermutlich nicht überleben. Ich solle mich darauf gefasst machen.

Wie sollte ich mich darauf vorbereiten? Auch das verstand ich in diesem Moment: Selbst wenn in den Ärzteberichten steht, dass ein Mensch bald sterben wird, auch wenn wir es an einem Sterbebett spüren: Wir sind nie wirklich darauf vorbereitet, wenn der Moment dann tatsächlich da ist.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nie mit meiner Mutter über ihr Sterben gesprochen.

‚Was meinst du, wird es mir irgendwann bessergehen?‘, fragte sie jedes Mal, wenn ich sie während ihrer Krankheit besuchte. Die Hoffnung und die fiebrige Verzweiflung in ihrem Blick ließen mich jedes Mal antworten, dass es ihr sicher bald wieder bessergehen werde. Die Vorstellung, sie in diesem Moment zu fragen, wo und wie sie diese Welt verlassen wolle, schien mir so fern, als würde ich sie fragen, wann sie zum Mond abheben wolle.

Dabei war es nicht nur das Vokabular, das mir dafür fehlte; vor allem hatte ich nicht den Mut, ihr den letzten Rest Hoffnung zu nehmen. Zumal mir selbst die Vorstellung, dass ausgerechnet meine Mutter sterben könnte, vollkommen absurd erschien. Als ich nach dem Gespräch mit der Ärztin in ihr Zimmer zurückkehrte, brauchte ich nichts zu sagen. Sie sah es in meinem Gesicht. Mit Tränen in den Augen schaute sie an mir vorbei zum Fenster. Meine Mutter starb noch in jener Nacht.

Das ist das Schwerste, was ich bis jetzt in meinem Leben getan habe: einem Menschen mitzuteilen, dass er sterben wird und darf. Nicht irgendwann, sondern sehr bald. Einem Menschen zu verstehen zu geben, dass er loslassen darf. Dass es für ihn besser ist, wenn er loslässt, auch wenn das einem selbst unerträglich erscheint. Weil wir uns ein Leben lang gegen das Loslassen wehren; und wir mit allen Mitteln versuchen, unsere Vergänglichkeit aufzuhalten; weil die Medizin uns gern glauben lässt, dass wir unser Ableben tatsächlich aufhalten können. Und weil wir unseren Sterbenden und uns selbst stets Hoffnung auf ein Weiterleben schenken möchten.

Denn die Hoffnung, dass es immer weitergeht, macht uns als Menschen aus. Und damit eine Art irrationaler Glaube an unsere Unsterblichkeit.“
Louise Brown

Für die Autorin ist es paradox, wie sehr wir uns gegen die fundamentale Wahrheit des Lebens wehren, dass jeder eines Tages sterben wird.

Gerade in jungen Jahren glauben einige Menschen, unsterblich zu sein. Sie schinden ihren Körper förmlich, leben, als gebe es kein Morgen. Oder sie vergeuden im anderen Extrem die wertvollsten Jahre ihres Lebens in der Monotonie eines Arbeitsalltags, der sie nicht erfüllt. Die Angst vor dem Tod rührt in vielen Fällen aus der Angst, nicht gelebt zu haben.

Besonderen Dank spricht die Autorin den Familien aus, von deren Verstorbenen sie in diesem Buch erzählen durfte. Eine schöne und ehrenwerte Geste, wie ich finde.

Mit ihren Erkenntnissen aus vielen Jahren intensiver Auseinandersetzung mit dem Tod vermittelt Louise Brown uns unglaublich viel fürs Leben. Am Ende bleiben nach ihrer Erfahrung nicht die großen Errungenschaften, die die Menschen zu Lebzeiten erzielt haben. Sondern ihre Wesenszüge wie Humor, Mut, Zärtlichkeit und Widerstandsfähigkeit.

Es ist sicher ein zeitweise schmerzhaftes Buch. Dennoch schafft es voller Wärme und Menschlichkeit den Raum, über die eigene Endlichkeit nachzudenken.

Und frühzeitig Frieden mit ihr zu schließen. Ich wünsche allen Menschen, dass sie das möglichst früh in ihrem Leben schaffen. Anschließend kann man ohne Angst und in offener Kommunikation mit seinen Liebsten die wertvolle Zeit auf Erden genießen.

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