DAS INFLATIONSGESPENST von Thomas Mayer* ist ein nicht ganz leicht zu lesendes, eher weniger für Einsteiger:innen geeignetes Werk über die vielseits diskutierte Geldpolitik. Im Untertitel nennt der Autor es selbst „eine Weltgeschichte von Geld und Wert“. Und das trifft den Inhalt des Buches eigentlich bereits recht gut. Denn wir erfahren gerade in der ersten Hälfte sehr viel über geschichtliche Zusammenhänge und historische Momente sowie Entscheidungen bezogen auf das liebe Geld. Von den ersten Münzen und Tauschmitteln bis hin zu Bretton Woods und Co. / Anzeige
Was dieses Buch für mich aber besonders macht: Die sehr umfangreichen, fast schon philosophischen, Auseinandersetzungen mit den Ökonomen und Ökonominnen der ersten Stunde, aber auch allerlei anderen schlauen Köpfen der vergangenen Jahrhunderte bis heute. Wem die Ideen von Keynes, Smith und Co. eher weniger bekannt sind, wird an der ein oder anderen Stelle wohl nochmal querlesen müssen. Wer allerdings schon firm im Thema ist und vor allem eine Leidenschaft dafür hegt, sich mit diesen eher theoretischen und manches Mal auch trockeneren Auseinandersetzungen zu beschäftigen, wird voll auf seine Kosten kommen.
Für Thomas Mayer stehen wir heute an einem Wendepunkt
Nach der Niedrigzinspolitik und der Coronakrise steuern wir seiner Meinung nach nun auf eine höhere Inflation zu. Und das spüren wir insbesondere aufgrund der Ukrainekrise gerade tatsächlich. Der Autor stellt nun aber systemische Fragen und versucht nicht banal eins und eins zusammenzuzählen, sondern tiefer in die Materie einzusteigen.
Mayer selbst ist promovierter Ökonom. Lange Zeit hat er für den Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington sowie für die Investmentbanken Salomon Brothers und Goldman Sachs in London gearbeitet. 2010 wurde er zudem Chefvolkswirt der Deutsche-Bank-Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Seit 2014 ist er Leiter der Denkfabrik Flossbach von Storch Research Institute.
Mit all seiner Erfahrung ist er der Überzeugung, dass die Zentralbanken der aktuellen Lage nur wenig entgegenzusetzen haben.
Er beschreibt, warum unser heutiges Geldsystem schon im Kern zum Scheitern verurteilt ist. Zudem analysiert er, an welchen Stellen dies bereits historisch kritisiert und diskutiert wurde und wie eine Neuordnung unserer Währungen aussehen könnte.
„Sind wir auf dem Weg zur Glückseligkeit oder bewegen wir uns in die entgegengesetzte Richtung?“
Thomas Mayer
Dieser Frage möchte der Autor in seinem Buch nachgehen. Im ersten Teil des Werkes erfahren wir dazu, wo das Geld eigentlich herkommt und wie es sich über die Zeit immer wieder gewandelt hat. Auch die Globalisierung des Geldes wird dabei thematisiert. Der zweite Teil des Buches beschreibt, wie uns die Geldschöpfung immer wieder Geld- und Finanzkrisen beschert hat. Aus europäischer Sicht ist dabei vor allem interessant, welche Rolle das Geld bei der Integration der europäischen Nationalstaaten und „bei der Errichtung des modernen Versicherungsstaats gespielt hat“.
„Dabei werden wir unter anderem entdecken, dass in China schon im Jahr 1005 der vermeintliche Segen des Papiergeldes zum Fluch geriet, wie ein Rechenfehler des berühmten Physikers Isaac Newton zuerst den Briten und dann der Welt den Goldstandard bescherte. Dass der Keynesianismus, schon vor Keynes‘ im Jahr 1936 veröffentlichter ‚Allgemeinen Theorie‘, im Nazideutschland der frühen 30er-Jahre entstand. Warum der Internationale Währungsfonds seit seiner Gründung von einem Europäer geführt wird. Wie, als Kollateralschaden der Bekämpfung von Währungsspekulanten durch US-Präsident Richard Nixon, das Bretton-Woods-Währungssystem zerfiel und das »Fiat«-Kreditgeldsystem entstand. Dass die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion dem lang gehegten Wunsch französischer Politiker entsprang. Europa unter französischer Führung zu einen und dass Banken- und Finanzkrisen in der Regel die Folge von Geldvernichtung durch Kreditausfälle sind. Geldkrisen dagegen durch übermäßige Geldvermehrung entstehen.“
Thomas Mayer
Thomas Mayer ist der Meinung, dass Keynes‘ Modell auf die heutige Situation nicht mehr anwendbar ist und skizziert, wie die Niedrigzinspolitik uns in ein Dilemma manövriert hat.
Aber vor allem, warum digitale Währungen eine Alternative zum heutigen Geldsystem sein können und warum Sachwerte schon immer eine bessere Idee waren als Geldwerte.
„Auch heute sind wieder ‚Tausendkünstler‘ am Werk. Sie sitzen in den Zentralbanken und ‚stempeln gleich die ganze Reihe‘, damit ‚die Wohltat allen gleich gedeihe‘. Die Wirtschaft blüht auf. Doch folgt der Scheinblüte schnell der Verfall der Kaufkraft des künstlich geschaffenen Geldes, die Inflation. Die Zeichen stehen an der Wand, aber die Verantwortlichen weigern sich, sie zu sehen. Es ist höchste Zeit, die Augen aufzumachen. Wer dabei zurückblickt, kann die Zukunft ahnen. Denn Inflationen haben eine lange Vorgeschichte. Sie haben schon Jahrhunderte vor Goethe Nationen in den Ruin getrieben und sich in Zentraleuropa, im 20. Jahrhundert, mehrmals auf eindrucksvolle Weise wiederholt. Die Anmutung der Papiergeldszene aus Faust Il ist daher tief im kollektiven Gedächtnis auch derjenigen Bewohner Zentraleuropas eingegraben, die von Goethe nie etwas gehört haben.“
Thomas Mayer
Man spürt bereits bei diesen kleineren Absätzen, dass dieses Buch eher weniger für Einsteiger:innen in den großen Bereich der Finanzen geeignet ist, aber dafür umso mehr für Finanzphilosophen, die gerne in größeren Dimensionen denken.
Nicht alle Thesen des Autors unterstütze ich dabei. Nicht all seine Schlussfolgerungen erscheinen mir sinnhaft oder plausibel. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass wir hier über weitestgehend theoretische Dinge sprechen, wo die „Wahrheit“, wenn es sie denn überhaupt geben sollte, noch nicht so recht erkennbar ist.
Trotzdem respektiere ich die Gedankengänge und konnte viel aus diesem Buch für mich persönlich mitnehmen. Es war sehr spannend, dem Autor zu folgen und auch der Verlag hat gute Arbeit mit diesem Buch geleistet. Die goldenen Trennseiten und Überschriften, aber auch generell die grünschnittigen Seiten und das Schriftbild machen einen sehr hochwertigen Eindruck.
„Wer aber darauf hinweist, dass die ‚Tausendkünstler‘ auch heute ihr Unwesen treiben, dem wird von Ökonomen oft mangelndes Verständnis der ‚modernen Geldpolitik‘ und Sparbesessenheit vorgeworfen. So schrieb der britische Starkolumnist Martin Wolf dazu in der Financial Times vom 20. Januar 2015.“ Thomas Mayer
Ich weiß genau, was der Autor damit meint und ich teile diesbezüglich seine Ansicht vollständig.
Es ist fast schon schockierend, wie naiv unsere „moderne Geldpolitik“ trotz bekannter Mängel immer wieder als beinahe alternativlos dargestellt wird. Insbesondere in der Universität konnte ich das nicht nachvollziehen. Gerade dies sollte doch ein Ort sein, an dem man hinterfragt und versucht zu widerlegen, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen oder alte zu bestätigen.
Thematisch tauchen wir dazu im Buch zu Beginn tief ab in das 17. und 18. Jahrhundert, als John Law seine geldtheoretischen Überlegungen als Generalkontrolleur der Finanzen des französischen Staates in die Praxis umsetzte. Aber auch in die 20er- und 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts, als John Maynard Keynes Gold als „barbarisches Relikt“ bezeichnete und sich für das sogenannte „deficit spending“ aussprach.
Wer sich einmal breit mit allerlei Aspekten rund um unsere Währungen befassen möchte, den:die erwartet hier ein thematischer Blumenstrauß:
- Geld als Pfand für Ansprüche auf Eigentum oder als Medium menschlichen Austausches
- Die Verschlechterung des Geldes vom geringeren Gehalt hochwertiger Metalle bis hin zu allerlei weiteren Kuriositäten
- Die Entstehung der Zentralbanken
- Und natürlich der Goldstandard
Zum Abschluss erlaubt sich der Autor im Buch dann noch einen Blick in die Glaskugel, um zu erahnen, wie es weitergehen könnte. Spannend und sicherlich lesenswert!