DER ECHT HEISSE SCHEISS VON SENECA von Niclas Lahmer* ist eines der lustigsten und entspanntesten Bücher zum Stoizismus, das ich jemals gelesen habe. Gemeinhin ist der Stoizismus für viele ein eher schwer zu greifendes und damit leider auch häufig unattraktives Thema. Wenn wir uns die alten Schriften von Seneca, Marc Aurel und Co. zu Gemüte führen, dann ist das sicherlich keine leichte Kost und schreckt die meisten auf Anhieb ab. / Anzeige
Darüber hinaus ist der Stoizismus eben auch ganz und gar keine Philosophie für die Couch. Ganz im Gegenteil. Und das gibt Niclas Lahmer in diesem Buch an vielen Stellen auch schonungslos zum Besten. Ab und an kann er damit recht scharf und hart wirken, aber im Kern sind seine Statements inhaltlich einfach on Point und könnten den einen oder die andere wachrütteln.
Auch nach über 2.300 Jahren besitzen die Lehren des Stoizismus immer noch ihre Gültigkeit. Es geht um Erfolg, Misserfolg, Glück, den inneren Frieden, Ziele, Ambitionen und vor allem ganz viel um Routinen. In diesem Buch wird Seneca für uns zum Mentor. Doch auch über viele andere bekannte Stoiker wird berichtet.
Vielleicht ist es am Ende sogar die Philosophie des Glücks und ein Anstoß, das eigene Leben zu hinterfragen.
„Es heißt, dass Zenon von Kition rund 300 vor Christus die Philosophie des Stoizismus begründete und seine Philosophie des Glücks kundtat. Seine Gedanken über das gute Leben, welches wir vorerst als glückliches Leben bezeichnen wollen, teilte Zenon in einer Säulenhalle (Stoa) auf einem Marktplatz in Athen mit.“
Die Philosophie wurde Generation für Generation weitergegeben. So erfreute sich der Stoizismus in den darauffolgenden Jahrhunderten großer Beliebtheit, bevor er im Mittelalter fast gänzlich verschwand. Doch bis heute sind große Persönlichkeiten Verfechter:innen des Stoizismus. Darunter Jeff Bezos, Warren Buffett und Bill Gates.
„Aber Moment mal! Wenn das Rezept für Glück, Reichtum, ein erfolgreiches und gutes Leben bereits vor 2000 Jahren existierte und die Zeit sogar überdauerte, müssten es nicht heute theoretisch Millionen von Menschen kennen und erfolgreich anwenden?“
Niclas Lahmer
Das Gegenteil ist häufig der Fall. Viele der bekannten Personen aus der Coaching-Branche nutzen heute Grundgedanken der stoischen Philosophie für ihre persönlichen Zwecke, allerdings unter ihrem eigenen Namen.
Auch Niclas Lahmer hat mit diesem Buch nichts Neues erfunden. Er verpackt lediglich einige der wichtigsten Lehren des Stoizismus auf einfache Art und Weise, sodass diese Philosophie auch für Einsteiger:innen greifbar wird. Er möchte den Stoizismus als eine überaus aktuelle Philosophie und Unterstützung für ein Leben in der heutigen Moderne präsentieren. Dabei arbeitet er heraus, wie das Konzept die Qualität unseres eigenen Lebens zu verbessern vermag.
Um vielleicht schon mal etwas zu spoilern für die Menschen, die sich noch nicht mit dem Stoizismus beschäftigt haben:
„Allgemein kann man sagen, dass es im Stoizismus nicht darum geht, einen Wettkampf daraus zu machen und jemanden zu besiegen. Es geht nicht darum, besser zu sein als jemand anderes oder gar auf alle Fragen eine Antwort zu finden. Es geht darum, jeden Tag besser zu sein, als Sie es gestern waren. Das Ziel ist es zu wachsen. Wir sind selbst unser größter Gegner und Kontrahent.“
Niclas Lahmer
Die alten Lehren Senecas können uns auch noch im Hier und Jetzt sehr nützlich sein. Das sollte mindestens am Ende des Buches hängen bleiben. Der Stoizismus kann ein Weg sein, ein großartiges Leben zu führen, vollkommene Gelassenheit und Ruhe zu erlangen, Frieden zu finden und auch mit den schwierigsten Situationen im Leben souverän umzugehen.
Was ich besonders spannend fand, waren die Einleitung des Autors und die klare Abgrenzung vom Stoizismus zum Hedonismus, der in weiten Teilen die heute dominierende Philosophie in den Taten und Strukturen unserer Gesellschaft zu sein scheint.
„Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir konsumieren, um zu zeigen, nicht aber, um zu überleben. Wir achten mehr auf die Meinungen anderer Menschen als auf unsere eigene Entwicklung. Wir suchen mehr nach der Anerkennung der Herde als nach der Individualität in der Einsamkeit. Wir suchen nach dem leichten Weg und verabscheuen alles Schwere. Wir wollen Leidenschaft, ohne zu leiden. Wir wollen Intimität ohne Verantwortung. Wir wollen Sex ohne Konsequenzen. Wir wollen das Happy End ohne die Schwierigkeiten und wir wollen mehr Geld, ohne etwas dabei aufgeben zu müssen. Wir sind die Gesellschaft, in der 6o Prozent aller Ehen geschieden werden und 50 Prozent aller Menschen – abhängig davon, wo sie leben – an Krebs erkranken. Wir sind die Gesellschaft, die Tiere foltert, um an der Kühltheke das beste Stück ohne Fett auswählen zu können, die Bananen normiert und 5o Prozent aller Lebensmittel wegwirft, weil sie nicht wie aus einem Katalog aussehen. Wir sind die heutige Generation, die keine ernsthafte Beziehung mehr will. Wir wollen Händchen halten auf Instagram, zwei Paar Schuhe in der Story-Timeline und den Hashtag #CoupleGoals. Wir ‚swipen‘ uns durch die Apps, weil sich dort alle elf Minuten jemand verliebt. Ist da nicht nach einigen Minuten auch unser Los dabei? Wir sind die Gesellschaft, die andere Meinungen diskreditiert und vorschnell beurteilt.“
Niclas Lahmer
Eine für mich leider ziemlich treffende Beschreibung unserer momentanen Situation und ein komplett konträres Bild zu den Lehren von Seneca und Co. Viele unserer heutigen Probleme, wenn nicht sogar alle, liegen in unseren eigenen Entscheidungen und Handlungen begründet. Der Stoizismus lädt dabei zur Reflexion ein und Niclas Lahmer macht ihn für alle in leichter Sprache greifbar.
Die beste Version seiner selbst zu sein, zu werden oder gar…unser vollständiges Potenzial zu entfalten, sollte unser aller Lebensziel sein.
Selbst, wenn alles super läuft, hilft abermals der Stoizismus: Er beschreibt das Gleichgewicht zwischen dem Streben (Arete) und der Demut.
Es gibt ein schönes Sprichwort im Stoizismus, das besonders gut zum Ausdruck bringt, warum viele sich gerne Stoiker:innen nennen und die Lehren verkaufen, aber am Ende selbst nicht dabei bleiben:
„Der einzige leichte Tag war gestern.“
Klingt ziemlich unsexy in einer Instant-Gesellschaft, oder nicht?
Es symbolisiert ein tugendhaftes Leben gemäß den stoischen Prinzipien. „Ich will nicht als Erster im Ziel ankommen. Ich möchte so ankommen, dass ich im Ziel sagen kann, dass ich mein absolut Bestes gegeben habe und das für mich Maximale herausgeholt habe. Ich versuche ständig, das Maximum in die Ferne zu schieben, mich zu verbessern, zu erweitern und zu wachsen. Das ist es, was Arete bedeutet.“
Die Schriften der alten Stoiker und die darin enthaltenen Lehren haben in den letzten Jahrtausenden viele Menschen positiv beeinflusst. Und auch mein Leben hat sich weniger durch Seneca als durch die Bücher von Marc Aurel verändert. Selbst als ich dieses Buch hier gelesen habe, bekam ich nochmals einen Schub und spürte, dass ich im Sinne von Arete noch lange nicht hundertprozentig in der Spur bin. Aber das ist es auch nicht, was der Stoizismus vermitteln möchte. Du musst nicht perfekt sein. Niemand ist perfekt. Auch nicht Seneca oder Marc Aurel. Und gerade deswegen können und sollten wir stetig an uns arbeiten: Weil wir doch am Ende alle auf ein großartiges Leben zurückblicken wollen.
„Die Zeit wird kommen, wo unsere Nachkommen sich wundern, da wir so offenbare Dinge nicht gewusst haben.“
Seneca
Für mich ein wirklich gelungenes Werk für den Einstieg in ein wertvolles Thema.
Denn es vermag die für viele nur schwer begreifliche Welt und die Tugenden der Stoiker wunderbar wiederzugeben und auf die heutige Welt zu übertragen. Damit wird das Thema für die breite Masse zugänglich. Obgleich ich immer noch skeptisch bin – denn die Lehren können überaus entspannte Menschen durchaus abschrecken. Einzig und allein das Cover und der Titel gefallen mir persönlich nicht so sehr, aber das tut dem Inhalt keinen Abrieb und ich bin dem Autor dankbar für dieses Buch!