FREIMAURER von Werner H. Heussinger, Jan Snoek, Heike Görner und Ralph-Dieter Wilk* ist nun bereits das zweite Buch zum Thema, das ich von diesem Quartett lesen durfte. Bereits das erste Buch zur Freimaurerei zu Zeiten der Weimarer Republik fand ich sehr interessant. Dieses hier könnte aber nochmal mehr von euch interessieren. Denn es geht um die grundlegenden Prinzipien der Freimaurer und was man daraus für die Persönlichkeitsentwicklung mitnehmen kann. Neben den ganzen Verschwörungstheorien sind die Freimaurer eines der erfolgreichsten Netzwerke und legten schon immer großen Wert auf die persönliche Entfaltung und Weiterentwicklung der Mitglieder. / Anzeige
Es ist wirklich traurig zu beobachten, dass unter all den ganzen Verschwörungstheorien häufig verloren geht, welch einflussreiche und vor allem vor-denkerische Persönlichkeiten dieser Gemeinschaft angehörten und auch immer noch angehören. Dieses Buch ist nun ein Blick hinter die Kulissen. Und vor allem ein Blick tief zurück in die Vergangenheit und auf die Entstehung der gelebten Prinzipien in diesen verschwiegenen Kreisen.
Dabei erfahren wir was die Freimaurerei überhaupt ist. Was sind die Motive der Mitglieder? Welchen Sinn hatte diese Gemeinschaft damals und hat sie noch heute? Besonders interessant finde ich die philosophischen Kapitel rund um die Freimaurerei in Zeiten einer immer tiefer digitalisierten und globalisierten Welt, im Zeitalter von Posthumanismus und künstlicher Intelligenz. Dort werden Fragen diskutiert, die manch einem heute vielleicht noch nicht dringlich erscheinen, uns aber in Zukunft alle einmal betreffen werden. Denn wenn wir in einer postdigitalen Welt nicht mehr nur die Entscheidungsvorlagen, sondern auch die Entscheidungen über Leib und Leben von künstlicher Intelligenz fällen lassen, dann sind das Szenarien, die einem Angst bereiten können.
Die Autoren dieses Buches, die im Übrigen alle selbst Freimaurer sind und insgesamt auf mehr als 100 Jahre Zugehörigkeit zur Gemeinschaft zurückblicken können, „zeigen, was die moderne Freimaurerei ausmacht, weshalb sie ein Gewinn für jeden Einzelnen und die Gesellschaft ist und warum die Freimaurerei nicht weniger ist als das älteste und erfolgreichste Social Network der Welt und ein lebenslanges und überaus effektives Persönlichkeitstraining.“
„Sapere aude! – habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“
Um wahrscheinlich keine andere Gruppe von Menschen ranken sich so viele Mythen, Legenden und vor allem Verschwörungstheorien
Diese berichten vor allem über obskure Rituale und verschwörerische Absprachen innerhalb eines Geheimbundes. Nur die Wenigsten außerhalb der Gemeinschaft kennen überhaupt die Prinzipien und Hintergründe, die auch diese Rituale ausmachen. In diesem Werk versuchen die Autoren Licht ins Dunkel zu bringen und die Prinzipien herzuleiten, deren Wurzeln teilweise Jahrtausende in die Vergangenheit reichen. Auf dieser Zeitreise erfahren die Leser allerlei interessante geschichtliche Details. Von den griechisch-biblischen Wurzeln des Abendlandes und dem konträren Bild der ägyptischen Kultur bis hin zu den Entstehungen der gotischen Baukunst, den ersten Freimaurerhütten und aufklärerischen Bestrebungen in der neuen und alten Welt.
Wer nicht geschichtlich interessiert ist, wird an dieser Stelle gedanklich aussteigen, aber alle anderen kommen voll auf ihre Kosten.
„Die Freimaurerei hat die Form, unter der sie in Erscheinung getreten ist, mehrfach im Laufe der Zeit gewechselt, sie hat auch nicht immer den Namen „Freimaurerei“ geführt, aber das unnennbare etwas ist immer tätig gewesen, seit Menschen in Gemeinschaften leben, und hat die treibende Kraft gebildet zur Entwicklung des Ganzen.“
Gotthold Ephraim Lessing
Eine der Leitfragen, die dann auch in den philosophischen Ausführungen im hinteren Teil des Buches endet, ist dabei stets, ob die Freimaurerei nur ein Relikt vergangener Tage oder gar ein geheimes Forum ist, in dem sich Wirtschafts- und Politikeliten heimlich gegen alle anderen verschwören oder eben doch eine sinnhafte Rolle innerhalb der Gesellschaft einnimmt.
Um diese Frage zu klären, vermittelt dieses Buch eine entmystifizierte Sicht auf die Freimaurerei und ihre Prinzipien. Prinzipien, die weniger nach Weltherrschaft und vielmehr nach individueller Entwicklung und Humanismus klingen.
Man darf nur nicht verkennen, dass die hierbei gewählte Sprache nicht unbedingt leicht zu verstehen ist. Und auch viele der historischen, politischen und inhaltlichen Zusammenhänge sind für den ungeübten und unerfahrenen Leser doch das ein oder andere Mal eine Herausforderung. Es wird schon sehr tief in die Materie und vor allem auch tief in die Geschichtsbücher eingetaucht. Das muss man mögen und es ist sicher nicht jedermanns Sache.
Beim Titel hätte man vielleicht auch ein ausschließliches gegenwarts- und zukunftsorientiertes Werk erwarten können. Mit einem Fokus auf Lösungsmöglichkeiten vieler aktueller und gerade persönlicher Probleme im Sinne der Persönlichkeitsentwicklung. Stattdessen widmet es sich doch in weiten Teilen eher der Herleitung und Historie und betrachtet die Persönlichkeitsentwicklung vielmehr aus philosophischer als aus pragmatischer Sicht.
„Die Tugenden sind in unserem Verständnis die allgemeingültigen wie Weisheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Mäßigung, um nur die Kardinaltugenden zu nennen.“
Werner H. Heussinger, Jan Snoek, Heike Görner und Ralph-Dieter Wilk
Was dann wieder sehr deutlich adressiert wird, sind die gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft
Es wird dabei klar an Menschenrechte, aber auch an Menschenpflichten appelliert und der Begriff der Toleranz kritisch hinterfragt. Daraus entsteht die Idee, „einer von den persönlichen Interessen erweiterten Schicksalsgemeinschaft verantwortlich handelnder mit Tugenden wie Empathie und Respekt, die die Voraussetzung für ein friedliches Miteinander bilden.“
So ist dieses Buch durch und durch ein wirklich interessantes Werk
Aber definitiv nur für Leute geeignet, die geschichtlich interessiert sind und auch kein Problem damit haben, etwas trockenere Sachbücher zu verschlingen. Denn die Detailtiefe ist an manchen Stellen enorm, ähnlich wie die Masse an Informationen. Die Entstehung des Humanismus und die fortwährende Aufklärung waren für mich besonders interessante Komponenten dieses Buches. Für die Autoren ist die Aufklärung nämlich zwar geschichtlich abgeschlossen, aber die Ideen haben gesellschaftlich immer noch einen fortwährenden Einfluss. Es wird sogar provokant die Frage gestellt, ob wir eine zweite Aufklärung brauchen. Durchaus philosophische und gesellschafts- und technologiekritische Diskussionen unter den Prinzipien der Freimaurerei.
Mir hat es viel Freude bereitet, auf diese Reise durch die Epochen zu gehen.
Auch wenn ich danach meine Zeit brauchte, um wieder im Hier und Jetzt anzukommen. Denn die Ideen und Inhalte haben mich noch eine ganze Zeit lang beschäftigt. Und es ist sicher keine leichte Kost. Die teils weit ausschweifenden Erläuterungen zu Ritualen, Symbolen und der Tragweite von Werten und Ordnung innerhalb der Gemeinschaft war wirklich spannend.
Das macht das Buch für mich zu einem sehr guten Buch. Vor allem für all diejenigen, die sich tiefergehend mit der Idee der Freimaurerei mal abseits der ganzen Verschwörungstheorien auseinandersetzen möchten. Wem allerdings der lange Atem fehlt, um in diese Welt abzutauchen, dem empfehle ich stattdessen eher eine kurze Dokumentation zu dem Thema. Aber bitte dabei auf die Qualität der Quelle achten.
Selbstverständlich werden in diesem Buch die ominösen Rituale nicht im Detail beschrieben und in Skizzen und Bildern präsentiert. Aber es wird der Kern hinter dem Ganzen erläutert.