SCHAFE FÜR DIE WÖLFE von Thomas Müller* ist die romanartige Aufarbeitung von Teilen der Weltfinanzkrise 2008. Dabei orientiert sich der Autor an wahren Geschichten und schmückt diese an verschiedenen Stellen aus. Daraus ist ein spannender Finanzroman geworden – sofern es diesen Begriff überhaupt geben mag –, der mich wirklich etliche Stunden unterhalten hat. Und das, obwohl ich eher selten Romane lese und von hochgelobten Werken wie The Big Short von Michael Lewis* etwas enttäuscht war. Hier kommst du zu meiner Rezension.
Verschiedene Einzelschicksale in der Zeit rund um die Weltfinanzkrise verwebt der Autor sukzessive miteinander. Ein Inuk reist nach Europa, um sich an einem Investmentberater zu rächen. Einem typischen Rentnerpaar wurde ein Hochrisiko-Finanzprodukt untergejubelt. Zwei junge Menschen fragen sich, ob sie in dieser Welt überhaupt noch Kinder bekommen sollten.
Man spürt zwar, dass das Buch nicht in einem renommierten Verlag publiziert wurde. Auch das Cover und der Titel sagen mir nicht unbedingt zu, aber das Buch liest sich wie ein grundsolider Roman. Das lässt mich auch darüber hinwegsehen, dass auf dem Backcover von einem Inuit gesprochen wird, obgleich der Singular von Inuit Inuk ist. Trotzdem sollte das vielleicht noch geändert werden.
Unterm Strich ist der Titel mein größter Kritikpunkt am Buch.
Ich empfinde ihn als ziemlich irritierend und konnte mir darunter nichts wirklich vorstellen, bis ich das Backcover gelesen habe. „Schafe für die Wölfe“ lässt mich jetzt nicht direkt daran denken, dass sich kleine Leute (Schafe) gegen eine mächtige Gruppe (Wölfe) auflehnen.
Wie siehst du das?
„Schafe beißen nicht – oder doch?“, heißt es auf dem Backcover. Das ist tatsächlich Programm in diesem Buch. Neben dem vermeintlichen Zusammenbruch oder zumindest kurzzeitigen Aussetzen des Rechtsstaates und Weltwirtschaftssystems geht es vor allem darum, dass die Kleinen zurückschlagen und sich eben nicht alles gefallen lassen.
„Was 2007 beginnt und zunächst nach Einzelschicksalen aussieht, rast zehn Jahre später auf einen Gerichtsprozess zu, auf den die ganze Welt blickt. Die Wölfe im perfiden Spiel um Finanzbetrug sind Politiker, Lobbyisten, Banker, Insolvenzverwalter, Investmentberater und Mafiosi.“
Vom Backcover
Nur beißen die Schafe in diesem Fall zurück. Thomas Müller hat aus dieser Geschichte ein in weiten Teilen leider erschreckend treffendes Bild der Finanzbranche gezeichnet.
Ihre Verwobenheit mit politischen Entscheidungsträgern löst bei genauerer Betrachtung immer wieder einen Würgreflex aus. Schon lange sage ich sehr deutlich, was ich von dieser Branche halte. Die teilweise auf Tatsachen beruhenden oder zumindest an sie angelehnten Schilderungen des Autors unterstreichen dies.
Aber nun ja: Wenn man diese Meinung so öffentlich teilt, kann man sich schon mal auf den Gegenwind aus der Branche gefasst machen. Aus dem Buch Die Kunst des klaren Denkens von Rolf Dobelli* (hier kommst du zu meiner Rezension) ist es mir immer noch sehr präsent: Es kann äußerst schwierig sein, Leute von etwas zu überzeugen, wenn ihr Einkommen davon abhängt, es nicht so zu sehen. So erhält sich dieses Geflecht, stützt sich gegenseitig und führt eben keinen – eigentlich dringend notwendigen – Reinigungs- und Reformierungsprozess durch.
„Investmentbanker agieren abseits jeder sozialen Verantwortung. Diese Spezies lebt in einer Zwei-Klassen-Welt, in der es nur Gewinner und Verlierer gibt. Die Gewinner hassen das Verlieren, und mehr als das hassen sie die Verlierer. Sie brennen innerlich und sind immer auf der Hatz nach dem größeren Deal und dem noch größeren.“
Thomas Müller
Thomas Müllers Roman ist unter Umständen an einigen Stellen etwas überspitzt. Aber wer bin ich, das beurteilen zu können. Schließlich habe ich diese Krise und solch beispielhafte Einzelschicksale niemals am eigenen Leibe zu spüren bekommen. Die Leser dürfen sich jedenfalls auf viel Spannung, aber auch die nötige Ernsthaftigkeit freuen.
An dieser Stelle ein paar Worte zum Autor:
Thomas Müller, Dipl. Ing., geboren 1955 im Rheinland, hat Flugzeug- und Raketenbau in Aachen studiert. Nach dem Studium wurde er Unternehmensberater für EDV-Lösungen und danach selbstständiger IT-Unternehmer.
Als Kläger in einem zermürbenden Prozess gegen eine europäische Bank sammelte er zwölf Jahre lang Beweislagen und Akten, um sich des Betrugs im Immobilieninvestment zu erwehren. Dabei hatte er die Idee, die Korruptionszusammenhänge beim Investment und die katastrophalen Auswirkungen der Finanzkrise auf unbescholtene Bürger in eine spannende Geschichte zu kleiden.
Heute lebt er mit seiner Frau und zwei Hunden an der Côte d’Azur in Südfrankreich.
Was 2007 in der Finanzwelt geschah, sollte eigentlich noch allen präsent sein.
Denn im Grunde ist die Geschichte noch lange nicht vorbei und wir leben noch heute mit den Konsequenzen. Es war eine Abwärtsspirale aus kollabieren Banken, tausenden Jobs, die gestrichen wurden, Bankern, die sich aus Frust oder Schuldgefühlen von Brücken geworfen haben, und unzähligen kleinen Sparern, die um ihr letztes Hemd gebracht wurden. Anschließend haben die Regierungen bekanntlich entschieden, welche paar Banken und Versicherungen unter die Räder kamen und welche als systemrelevant eingestuft und damit schützenswert waren.
In der Folge wurden auf direktem oder indirektem Wege unvorstellbare Summen in die Branche geleitet. So wollte man einen kompletten Kollaps vermeiden.
Im Szenario des Buches wollen die isländischen Eigentümer der Bank Moneta aus Mittland retten, was angeblich ihnen gehört. Dabei spielen ihnen Regierungen in die Hände, die kopflos handeln.
„Ein Inuk, eine Journalistin, ein Think-Tank-Profiler und ein Haufen Rentner bilden Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Unmoral. Zuerst jeder für sich, doch dann kreisen sie vereint die Antagonisten ein. Die wiederum holen sich russische Mafiosi ins Boot, verüben Anschläge und können es nicht fassen, als die Justiz in Form der rachsüchtigen Insolvenzverwalterin ihnen in die Karten spielt. Sollten die Täter tatsächlich ungeschoren davonkommen?“
Thomas Müller
Selbstverständlich werde ich an dieser Stelle nicht spoilern, wie die Geschichte ausgeht.
Schließen möchte ich die Rezension mit einem Auszug aus der Schlussbemerkung des Autors zum Buch:
„Betrüger und Kriminelle gab es natürlich auch, doch der Bann der Gesellschaft auf sie war enorm. Mit dem Wechsel von Generationen veränderte sich die Haltung zu denen da oben und uns hier unten. Die Mauer fiel, die Sowjetunion zerbrach. Die Zeit der Kleptomanen brach an, jener Spezies, die nichts erarbeiteten, sondern sich Reichtum und Macht aneigneten. Oft mit Methoden, die souveräne Staaten durch unvorstellbar viel Geld erpressten und sich diese als Komplizen zunutze machten.
Einer von solchem Kaliber ist keine Bedrohung für ein Wirtschaftssystem in einer Demokratie. Doch ein ganzes Rudel davon setzt Korruption, Erpressung bis Mord als Mittel ein, um Macht durchzusetzen, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Und wer zahlt letztlich den Schaden? Wer sind die Schafe und wer die Wölfe?“
Thomas Müller
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